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264 - Verschollen

264 - Verschollen

Titel: 264 - Verschollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia Zorn und Jo Zybell
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Ann?«
    Verblüfft schaute sich das Mädchen um. Es war eine alte Frau, die sie festhielt. Ann erkannte sie sofort: rotgefärbte Haare, große Kreolen in den ausgeleierten Ohrlappen und ein von unzähligen Falten zerknittertes Gesicht. Es war die reisende Heilerin, die jedes Jahr für einige Wochen Corkaich besuchte. »Die alte Mummel«, flüsterte sie fassungslos.
    »Ja, so werde ich genannt«, lachte die Alte. »Und auch du kleiner Blondschopf darfst mich ruhig so nennen. Denn nie und nimmer hätte ich gedacht, noch auf eine Überlebende aus Corkaich zu stoßen.« Die Alte lachte und weinte nun gleichzeitig. Sie küsste und herzte das Kind, ohne auf Anns schreckgeweitete Augen zu achten, ohne zu bemerken, wie sich der kleine Körper unter ihrer Umarmung versteifte.
    »Oh, es tut mir so leid um deine arme Mutter. Und auch um den guten Pieroo.« Inbrünstig drückte sie das Gesicht der Kleinen gegen ihren mächtigen Busen. »Vielleicht tröstet es dich ja, wenn ich dir sage, dass die beiden nicht gelitten haben. Der Tod kam schneller als ein einziger Atemzug. Ganz friedlich sah deine Mum aus. Jemand war wohl schon vor mir da und hat sie in eine Decke gehüllt.« Jetzt packte sie die arme Ann bei den Schultern und hielt sie eine Armlänge vor sich. »Aber Wudan sei Dank ist dir nichts passiert. Wie bist du nur den Dämonen entkommen?«
    Ann sagte nichts. Wie eine Salzsäule stand sie vor der schwatzhaften Frau. Ihre Glieder fühlten sich ganz taub an und in ihrer Brust brannte der Schmerz. Um sie herum schienen Geräusche und Bewegungen in einem grauen Nebel zu versinken.
    Nur in ihrem Kopf brüllte es: Mum und Pieroo sind tot!
    ***
    Robin Fletscher eilte durch die Katakomben von Blarney Castle. Es duftete nach gebratenem Fleisch und Mince Pie. Auf den Gesichtern der Menschen lag ein andächtiges Lächeln und fröhliche Stimmen erfüllten die Felsenanlage. Auch der Techno aus Leeds war guter Dinge, hatte er doch eine Lösung für sein Problem mit dem Blondschopf gefunden: Traver und Lancer hatten ihm in der Badegrotte von einer Organisation erzählt, die im entfernten Luimneach einen verlassenen Bunker übernommen hatte und über technische Mittel verfügte, »Flüchtige« außer Landes zu schaffen.
    Die Chance war groß, über diese Leute zu seiner Community in Leeds zurückkehren zu können. Der Anführer der Scones war schon dabei, die Reise zu organisieren. Fletscher hatte ihm dafür den gesamten Schmuck gegeben, den er in den letzten Jahren von Schmugglern erworben hatte. Jennys Schmuck! Er hatte ihn gesammelt für den Tag, an dem seine Göttin mit ihm die Insel verlassen würde. Doch der Tag würde nie mehr kommen, und das Einzige, was von Jenny geblieben war, war die Kleine.
    Fletscher lächelte böse. Der Blondschopf wird sie niemals finden! Er bog in einen Seitengang und erreichte nach wenigen Schritten ihre Unterkunft. Er hatte sich umsonst beeilt: Ann war nicht da. Fletscher stellte das mitgebrachte Geschirr mit den Pasteten und den Kerzenstummel auf die Kiste. Die Kleine hatte ihren provisorischen Tisch liebevoll mit einem bunten Tuch und ausgeschnittenen Sternen verziert. Fast ein wenig gerührt betrachtete der Mann aus Leeds ihr Werk.
    Es war lange her, dass er Christmas Day gefeiert hatte. Und noch länger her, dass er gewaschen, rasiert und mit einer sauberen Uniform diesen Tag zelebrierte. Feierlich löste er das Lederband, das an Anns Geschenk hing, von seiner Schulter und legte es auf ihren Sitz. Lange hatte er überlegt, was er der Kleinen schenken könnte. Sie war nicht wie die anderen Kinder. Manchmal verschlossen und sehr altklug, fand Fletscher. Als ihm einfach nichts für sie einfallen wollte, hatte er sich für etwas entschieden, was auch ihm selbst gefallen würde: ein schwarzes Laser-Phasen-Gewehr.
    Natürlich nur aus Holz, so wie der Flieger, der an einem Nagel über Anns Feldbett hing. Einst hatte Fletscher so ein Gewehr im Original besessen. Versonnen strich er über das Spielzeug. Der Schreiner der Scones hatte wirklich ganze Arbeit geleistet! »Bin gespannt, was du dazu sagen wirst, kleine Ann.«
    Lange brauchte er nicht mehr warten. Auf dem Gang näherten sich leise Schritte. Der Türvorhang wurde beiseite geschoben und Ann betrat die Felsenkammer.
    Schnell nahm Fletscher auf seinem Schemel Platz. »Merry Christmas, kleine Ann.« Mit einer einladenden Geste deutete er auf sein Geschenk. Erst als das Mädchen keine Anstalten machte, zum Tisch zu kommen, schaute er auf. Er erschrak: Ann

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