264 - Verschollen
dem Ann in letzter Zeit immer zusammensteckte. Er ballte die Fäuste und stampfte auf den Boden. »Warum denn nicht?«, wollte er von dem dünnen Mann ihm gegenüber wissen.
»Nur einer kann mit! Das ist mein letztes Wort«, raunte der Mann und deutete auf den Sack vor ihnen. Als Fletscher genauer hinschaute, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen: Aus dem unverschnürten Sack blickte das unglückliche Gesicht der kleinen Ann!
Fletscher keuchte vor Schreck. Zu allem Überfluss vernahm er jetzt auch noch die Stimme eines Uniformierten in seinem Rücken. »Hey, du! An die Arbeit!«
Was nun? Wenn der Kerl die Kleine entdeckte… Fletscher wechselte erschrockene Blicke mit dem dünnen Mann und den Kindern, die ihn inzwischen entdeckt hatten. Schon spürte er den Atem des Wächters in seinem Nacken. »Was'n los hier?«
Blitzschnell drehte der Mann aus Leeds sich um und verpasste dem Frager einen rechten Haken. Besinnungslos krachte er zu Boden.
»Bist du verrückt?«, rief der Dünne aufgeregt. »Sie werden uns in Ketten legen oder töten!«
Fletscher fuhr sich über seinen kahlen Schädel. Er wusste, dass der Mann recht hatte. Vermutlich würde er nie mehr Gelegenheit bekommen, seine Fluchtpläne umzusetzen. Also musste es jetzt sein! »Wir fliehen!«
»Wer flieht?« Der Onkel der gehässigen Sue hatte inzwischen seinen Streit mit den Wächtern beendet. Neugierig sah er sich jetzt den besinnungslosen Uniformierten an. »Ah, verstehe. Wie sieht denn euer Fluchtplan aus?«
Fletscher brauchte nicht lange, um Sues Onkel zu überzeugen. Wenige Minuten später marschierten die drei Männer - jeder einen Sack geschultert - durch den Schacht. Vorbei an den Wachen am Stollenausgang und zu den Transportern. »Die passen noch in den Vorderen!«, rief Sues Onkel. Während er noch mit dem dünnen Mann weiter stapfte, inszenierte Fletscher einen Sturz am hinteren Transporter. Er landete genau zwischen dem Wagen und dem Feuer der Wächter. Der Mann mit der Augenklappe lachte vor Schadenfreude.
Doch das Lachen verging ihm, als der einstige Bunkermajor plötzlich aufsprang und zum Feuer stürzte. Bevor Augenklappe und sein Kamerad ihre Schwerter ziehen konnten, warf Fletscher ihnen eine Handvoll Dreck ins Gesicht. Dann schnappte er sich einen brennenden Holzspan aus dem Feuer. Er hastete zum Laster. Erleichtert sah er, dass der Tank noch nicht verschlossen war. In seinem Rücken hörte er die Wächter schreien. Schnell versenkte er das brennende Holz und rannte zum vorderen Wagen.
Sues Onkel kam ihm entgegen. »Die Kinder sind drin. Ich hole Sue.«
»Keine Zeit!«, rief Fletscher und lief an ihm vorbei zur Fahrerkabine. Schon knallten die ersten Schüsse von den Wachtürmen. Beim sonnengelben Flachbau wurden Stimmen laut und die Wächter vom Feuer waren nur noch wenige Schritte hinter Sues verdutztem Onkel. Der rannte bereits in Fletschers Richtung. »Du hast doch gesagt, ich könnte Sue mitnehmen!«, schrie er.
»Komm oder bleib!«, brüllte der Mann aus Leeds. Er startete den Laster. Im selben Augenblick zerriss eine gewaltige Detonation die Luft. Der hintere Transporter ging in Flammen auf. Der Techno drückte das Gaspedal durch. Der schwere Wagen preschte vorwärts. Während sein Kühler das Tor zerfetzte, sah er im Rückspiegel, wie sich Sues Onkel über die Ladeluke schwang.
***
Cill Airne
Martha und Niall O'Donels Wakudagespann ruckelte über die verlassene Landstraße. Das Ehepaar hatte im Dorf Vorräte besorgt und ein Geschenk für Cliff, der morgen seinen zweiundzwanzigsten Geburtstag feiern würde. Eine Flinte! Während die alte Martha gerade aufzählte, was sie dem Jungen kochen könnte, überlegte Niall, wie weit sein Sohn und die Bunkerleute wohl mit der Jagd auf die Bestien waren. Ein Rudel dieser Kreaturen hielt sich im Hügelland versteckt, das an O'Donels Farmland grenzte.
»Schau nur, der Bus«, riss Martha ihn aus seinen Gedanken und deutete auf das Wrack, das seitlich der Straße lag. »Weißt du noch, wie wir uns da drin das erste Mal geküsst haben?« Seine Frau kicherte wie ein kleines Mädchen. Plötzlich aber schrie sie auf. »Du liebes bisschen!«
»Was?« Niall schaute auf und sah sofort, was Martha erschreckte: Ein riesiger Vogel schwebte von Osten heran! Groß wie ein Haus war er und glänzte wie Eis. Eine weitere Bestie? O'Donel legte die Zügel beiseite und griff nach der Flinte.
Während er sie lud, hatte die Kreatur sie erreicht. Sie schwebte direkt vor ihnen und brummte wie ein
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