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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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öffnete er die Tür, und beide Männer drehten sich gleichzeitig um, ins Gesicht geschrieben stand ihnen eine Mischung aus Überraschung und Müdigkeit. Jetzt muss ich versuchen, der zu sein, der ich bin, dachte Fate, ein Schwarzer aus Harlem, ein verdammt gefährlicher Schwarzer. Fast im gleichen Moment wurde ihm klar, dass keiner der Mexikaner beeindruckt war.
    »Wo ist Rosa«, sagte er.
    Chucho Flores deutete träge in eine Ecke des Zimmers, die Fate übersehen hatte. Ich habe diese Szene schon einmal erlebt, dachte er. Rosa saß in einem Sessel, hatte die Beine übereinandergeschlagen und schnupfte Kokain.
    »Lass uns gehen«, sagte er.
    Er befahl nicht, er bat auch nicht. Er forderte sie nur auf, mitzukommen, legte aber alles Gefühl in seine Worte. Rosa lächelte ihn freundlich an und machte nicht den Eindruck, als würde sie irgendetwas verstehen. Er hörte Chucho Flores auf Englisch sagen: Verzieh dich, Kumpel, warte unten auf uns. Fate streckte dem Mädchen eine Hand entgegen. Rosa stand auf und nahm seine Hand. Die Hand des Mädchens kam ihm warm vor, eine Wärme, die andere Bilder evozierte, aber auch diese Schäbigkeit hier evozierte oder einschloss. Als er sie drückte, wurde ihm die Kälte seiner eigenen Hand bewusst. Ich war schon halb tot, dachte er. Ich bin kalt wie Eis. Wenn sie mir nicht die Hand gegeben hätte, wäre ich an Ort und Stelle verreckt, und man hätte meinen Leichnam nach New York überführen müssen.
    Als sie das Zimmer verließen, spürte er, wie Corona ihn am Arm packte und die freie Hand hob, die, wie er glaubte, einen Schlaggegenstand hielt. Er drehte sich und traf den Mexikaner im Stil eines Count Pickett mit einem Uppercut am Kinn. Wie vorhin Merolino Fernandez sank Corona ohne den geringsten Laut zu Boden. Erst da bemerkte er, dass es eine Pistole war, was er in der Hand hielt. Er nahm sie ihm ab und fragte Chucho Flores, was er vorhabe.
    »Ich bin nicht eifersüchtig, Kumpel«, sagte Chucho Flores und hob die Hände auf Brusthöhe, damit Fate sah, dass er unbewaffnet war.
    Rosa Amalfitano betrachtete Coronas Pistole, als wäre sie ein Sexshop-Artikel.
    »Lass uns gehen«, hörte er sie sagen.
    »Wer ist der Typ da unten «, sagte Fate.
    »Charly, Charly Cruz, dein Freund«, sagte Chucho Flores lächelnd.
    »Nein, Arschloch, der andere, der mit dem Schnurrbart.«
    »Ein Freund von Charly«, sagte Chucho Flores.
    »Hat dieses beschissene Haus einen zweiten Ausgang?«
    Chucho Flores zuckte die Achseln.
    »Sag mal, übertreibst du jetzt nicht ein bisschen?«, fragte er.
    »Ja, es gibt einen Hinterausgang«, sagte Rosa Amalfitano.
    Fate schaute auf Coronas am Boden liegenden Körper und schien einige Sekunden zu überlegen.
    »Der Wagen ist in der Garage«, sagte er, »ohne den kommen wir nicht weg.«
    »Dann muss man vorne raus«, sagte Chucho Flores.
    »Was ist mit dem da?«, sagte Rosa Amalfitano und deutete auf Corona, »ist er tot?«
    Fate schaute erneut auf den schlaff daliegenden Körper. Er hätte stundenlang dastehen und ihn anschauen können.
    »Gehen wir«, sagte er mit fester Stimme.
    Sie gingen die Treppe hinunter, kamen durch eine riesige Küche, die roch, als hätte hier seit langem niemand mehr gekocht, durchquerten einen Gang, von dem aus man auf einen Hof sah, in dem unter einer schwarzen Plane ein Lieferwagen stand, und gingen dann ein Stück in völligem Dunkel, bis sie zu der Tür kamen, die hinunter in die Garage führte. Als sie Licht machten, sprangen zwei große, von der Decke hängende Neonröhren an, und Fate betrachtete wieder das Wandgemälde mit der Jungfrau von Guadalupe. Als er nach vorn ging, um das Metalltor zu öffnen, fiel ihm auf, dass das offene Auge der Jungfrau ihm überallhin folgte. Er schob Chucho Flores auf den Beifahrersitz. Rosa setzte sich nach hinten. Beim Verlassen der Garage sah er gerade noch den Schnurrbärtigen, der oben auf der Treppe erschien und mit dem Blick eines verwirrten Jugendlichen hinter ihnen herschaute.
    Sie ließen das Haus von Charly Cruz hinter sich zurück und fuhren über unbefestigte Straßen. Sie überquerten, ohne es zu merken, eine Brachfläche, die einen starken Geruch nach Gestrüpp und verfaulten Lebensmitteln verströmte. Fate hielt an, wischte die Pistole mit einem Taschentuch ab und warf sie weit von sich.
    »Eine wunderschöne Nacht«, murmelte Chucho Flores. Rosa und Fate sagten kein Wort.
    Sie setzten Chucho Flores bei einer Bushaltestelle an einer verlassenen, verschwenderisch beleuchteten

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