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Fenster in öffentlichen Gebäuden. Eine Bushaltestelle vor einem kleinen Park. Die Zweige eines kranken Baums, die sich vergeblich ins Nichts zu recken versuchten. Das Gesicht der alten Hure, die jetzt in die Kamera lächelte, wie um zu sagen: Hab ich's richtig gemacht? War ich gut? Keine Klagen? Eine Treppe aus rotem Klinker. Ein Linoleumboden. Derselbe Regen, diesmal aus einem Zimmer heraus gefilmt. Ein Plastiktisch, dessen Ränder von Kerben übersät waren. Becher und ein Glas Nescafé. Eine Pfanne mit den Resten von Rührei. Ein Flur. Der Körper einer halbnackten, am Boden liegenden Frau. Eine Tür. Ein Zimmer in heillosem Durcheinander. Zwei Typen schlafend in einem Bett. Ein Spiegel. Die Kamera fährt auf den Spiegel zu. Das Band stoppt.
»Wo ist Rosa?«, fragte Fate, als der Film zu Ende war.
»Es gibt noch ein zweites Band«, sagte Charly Cruz.
»Wo ist Rosa?«
»In irgendeinem Zimmer«, sagte Charly Cruz, »und gerade dabei, Chucho einen zu blasen.«
Dann stand er auf, verließ das Zimmer, und als er wiederkam, hatte er das fehlende Band in der Hand. Während er noch das Video zurückspulte, sagte Fate, er müsse mal aufs Klo.
»Im Flur die vierte Tür«, sagte Charly Cruz. »Aber du musst nicht aufs Klo, du willst deine Rosa suchen gehen, verlogener Gringo.« Fate lachte.
»Na ja, vielleicht braucht Chucho Unterstützung«, sagte er, als wäre er gleichzeitig müde und betrunken.
Als er aufstand, fuhr der Schnurrbärtige hoch. Charly Cruz sagte etwas auf Spanisch zu ihm, und der Schnurrbärtige machte es sich wieder in seinem Sessel bequem. Fate ging den Flur entlang und zählte die Türen. Als er bei der dritten Tür ankam, hörte er ein Geräusch aus dem oberen Stockwerk. Er blieb stehen. Das Geräusch erstarb. Das Bad war groß und wirkte wie aus einer Architekturzeitschrift. Wände und Boden aus weißem Marmor. Eine runde Badewanne, in der mühelos vier Personen Platz fanden. Neben der Badewanne eine große, aufrecht stehende, sargähnliche Eichenholzkiste. Ein Sarg, bei dem der Kopf draußen blieb und den Fate für eine Sauna gehalten hätte, wäre die Kiste nicht so schmal gewesen. Die Kloschüssel war aus schwarzem Marmor. Daneben befand sich ein Bidet, und neben dem Bidet eine etwa halb meterhohe, marmorne Ausstülpung, deren Funktion Fate sich nicht erklären konnte. Sie glich, wenn man viel Phantasie aufwendete, einem Sessel oder Sattel. Aber er konnte sich nicht vorstellen, wie jemand darauf in normaler Haltung sitzen sollte. Vielleicht diente sie als Handtuchablage fürs Bidet. Während er sein Wasser abschlug, ruhte sein Blick auf dem Sarg und der Marmorskulptur. Einen Moment lang dachte er, beide seien lebendig. Hinter ihm hing ein Spiegel, der die gesamte Wand einnahm und das Bad größer erscheinen ließ, als es in Wirklichkeit war. Fate schaute nach links und sah den Holzsarg, dann drehte er den Kopf nach rechts und sah das ausgestülpte Marmorartefakt, einmal schaute er auch über die Schulter und sah sich selbst von hinten, wie er vor dem Klo stand, flankiert von dem Sarg und dem anscheinend funktionslosen Sattel. Das Gefühl der Unwirklichkeit, das ihn schon die ganze Nacht verfolgte, verstärkte sich.
Er ging so leise wie möglich die Treppe hinauf. Im Wohnzimmer sprachen Charly Cruz und der Schnurrbärtige Spanisch miteinander. Die Stimme von Charly Cruz klang beschwichtigend, die des Schnurrbärtigen schrill, als litte er unter einer Atrophie der Stimmbänder. Wieder erklang das Geräusch, das er unten im Flur gehört hatte. Die Treppe mündete in einen Wohnraum mit großer Fensterfront, vor der eine Jalousie mit dunkelbraunen Plastiklamellen hing. Fate betrat einen weiteren Flur. Er öffnete eine Tür. Bäuchlings auf einer Art Feldbett lag Rosa Méndez. Sie war angezogen und trug ihre hochhackigen Schuhe, schien aber zu schlafen oder war sturzbetrunken. Bis auf das Bett und einen Stuhl war das Zimmer leer. Anders als im Erdgeschoss lag hier überall Teppichboden, so dass seine Schritte kaum zu hören waren. Er näherte sich dem Mädchen und drehte ihren Kopf. Ohne die Augen zu öffnen, lächelte sie ihn an. Der Flur gabelte sich auf der Hälfte. Fate bemerkte einen Lichtschein, der durch die Ritzen einer der Türen drang. Er hörte Chucho Flores und Corona laut diskutieren, verstand aber nicht, um was es ging. Er nahm an, alle beide wollten Rosa Amalfitano vögeln. Dann dachte er, dass sie vielleicht seinetwegen stritten. Corona wirkte ehrlich wütend. Ohne zu klopfen,
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