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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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freuen, aber nur wenn du Zeit hast, ich bin mit dem Wagen hier, sagte Erica. Ich komme dich holen, sagte der Sheriff. Dann rief sie die Krankenschwester an, mit der sie sich angefreundet hatte, und erzählte ihr die jüngste und, wie es schien, letzte Neuigkeit. Bestimmt wollen sie, dass du den Leichnam identifizierst, sagte die Krankenschwester. Die Leichenhalle befand sich in einem der Krankenhäuser, die sie tags zuvor besucht hatte. Sie fuhr zusammen mit Henderson hin, der freundlicher war als Kurt A. Banks, aber eigentlich wäre sie lieber allein hingefahren. Während sie noch auf dem Flur warteten, erschien die Krankenschwester. Sie umarmten und küssten sich auf die Wangen. Dann stellte sie Henderson die Krankenschwester vor, der sie zerstreut begrüßte und wissen wollte, seit wann sie einander kannten. Seit vierundzwanzig Stunden, sagte die Krankenschwester. Oder nicht einmal. Stimmt, dachte Erica, erst einen Tag, und doch kommt es mir vor, als würde ich sie schon seit Ewigkeiten kennen. Als der Gerichtsmediziner erschien, wollte sie nicht, dass Henderson sie begleitete. Ich mache das nicht zum Spaß, sagte er mit einem gequälten Lächeln, es ist meine Pflicht. Die Krankenschwester nahm sie in den Arm, und zusammen gingen sie hinein, gefolgt von dem US-amerikanischen Beamten. Im Raum trafen sie auf zwei mexikanische Polizisten, die die Tote betrachteten. Erica trat heran und sagte, das sei ihre Freundin. Die Polizisten baten sie, einige Papiere zu unterschreiben. Erica versuchte sie zu lesen, aber sie waren auf Spanisch. Nichts Besonderes, sagte Henderson, unterschreiben Sie. Die Krankenschwester las die Papiere durch und sagte, sie solle unterschreiben. Ist das alles?, fragte Henderson. Das ist alles, sagte einer der mexikanischen Polizisten. Wer hat Lucy Anne das angetan?, fragte Erica. Die Polizisten sahen sie verständnislos an. Die Krankenschwester übersetzte ihre Worte, und die Polizisten sagten, sie wüssten es noch nicht. Am frühen Nachmittag traf der Sheriff von Huntville ein. Erica saß in ihrem verschlossenen Wagen vor dem Konsulat und rauchte, als sie ihn kommen sah. Der Sheriff von Huntville erkannte sie von weitem und sie sprachen miteinander, wobei sie im Wagen sitzen blieb und er sich zu ihr herunterbeugte, eine Hand auf die offene Tür, die andere in die Hüfte gestützt. Dann ging er ins Konsulat, um sich weitere Informationen zu holen, und Erica blieb in ihrem jetzt wieder verschlossenen Wagen sitzen und rauchte eine nach der anderen. Als der Sheriff wieder herauskam, sagte er, sie sollten jetzt nach Hause fahren. Erica wartete, bis der Sheriff seinen Wagen gestartet hatte, und folgte ihm dann wie im Traum über die mexikanischen Straßen und über die Grenze und durch die Wüste von Arizona, bis der Sheriff auf die Hupe drückte und ihr ein Handzeichen machte, und beide Wagen hielten an einer alten Tankstelle, bei der man essen konnte. Erica hatte jedoch keinen Hunger und hörte nur zu, was der Sheriff ihr mitzuteilen hatte: Dass man den Körper von Lucy Anne binnen drei Tagen nach Huntville überführen werde, dass die Polizei versprochen habe, ihren Mörder zu finden, dass die ganze Sache zum Himmel stinke. Daraufhin bestellte der Sheriff Rührei mit Bohnen und ein Bier, und sie stand auf, Zigaretten holen. Als sie zurückkam, wischte der Sheriff den Teller mit einer Scheibe Toastbrot sauber. Er hatte dichtes schwarzes Haar, das ihn jünger erscheinen ließ. Glaubst du, sie haben dir die Wahrheit gesagt, Harry?, fragte sie. Keineswegs, sagte der Sheriff, aber ich werde mich persönlich darum kümmern, sie herauszufinden. Das weiß ich, Harry, sagte sie und begann zu weinen.
    Die nächste Tote fand man nahe der Hauptstraße nach Hermosillo, zehn Kilometer von Santa Teresa entfernt, zwei Tage nach dem Auftauchen der Leiche von Lucy Anne Sander. Vier Viehknechte und der Neffe des Ranchbesitzers hatten sie entdeckt. Sie waren seit über zwanzig Stunden auf der Suche nach ausgebrochenen Rindern. Die fünf Fährtensucher ritten auf Pferden, und als sie feststellten, dass sie eine Tote gefunden hatten, schickte der Neffe einen der Knechte zurück zur Farm, um seinen Onkel zu benachrichtigen, während die anderen dablieben, völlig fassungslos ob der unnatürlichen Haltung der Leiche, die mit dem Kopf in einem Erdloch steckte. Als hätte der Mörder, zweifellos ein Irrer, sich gedacht, es würde reichen, ihren Kopf zu vergraben. Oder geglaubt, wenn er ihren Kopf mit Erde bedeckte, wäre der

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