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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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schlicht und einfach und ohne Probleme, ohne dass man sie hinterfragen müsste? Nein, sagte Harry Magaña, man muss alles hinterfragen. Richtig, sagte der Polizist aus Tijuana. Man muss alles hinterfragen, und man muss immer auch die eigenen Fragen hinterfragen. Weißt du, warum? Weil uns unsere Fragen bei der kleinsten Unvorsichtigkeit in eine Richtung lenken, in die wir nicht wollen. Siehst du den Kern der Sache, Harry? Unseren Fragen ist grundsätzlich zu misstrauen. Aber wir müssen sie stellen. Und das ist das Beschissenste daran. So ist das Leben, sagte Harry Magaña. Dann schwieg der mexikanische Polizist, und sie betrachteten die Leute, die auf der Avenida unterwegs waren, und spürten auf ihren erhitzten Wangen den Luftzug, der durch Tijuana wehte. Ein Luftzug, der nach Fahrzeugöl, dürren Pflanzen, Orangen, nach einem Friedhof von zyklopischen Ausmaßen roch. Trinken wir noch ein Bier oder machen wir uns gleich auf die Suche nach diesem Chucho? Trinken wir noch ein Bier, sagte Harry Magaña. Später in der Diskothek überließ er Ramírez die Initiative. Dieser winkte einen der Türsteher heran, einen Typ mit der Muskulatur eines Bodybuilders, in einem Sweater, der ihm wie ein Trikot am Leib klebte, und sagte ihm etwas ins Ohr. Der Türsteher hörte mit gesenktem Kopf zu, dann schaute er hoch und schien etwas erwidern zu wollen, aber Ramírez sagte, na los schon, und der Türsteher verschwand zwischen den Lichtern des Ladens. Magaña folgte Ramírez bis zum hinteren Flur. Sie betraten das Männerklo. Drinnen stießen sie auf zwei Typen, die sich verdrückten, kaum dass sie den Polizisten sahen. Einen Moment lang betrachtete Ramírez sich im Spiegel. Er wusch sich Hände und Gesicht, zog dann einen Kamm aus der Sakkotasche und begann sich sorgfältig zu kämmen. Harry Magaña tat nichts. Er lehnte regungslos an der unverputzten Betonwand, bis Chucho in der Tür erschien und fragte, was sie von ihm wollten. Komm rein, Chucho, sagte Ramírez. Harry Magaña schloss die Tür hinter ihm. Ramírez stellte die Fragen, und Chucho gab auf alles Antwort. Er kannte Miguel Montes. Er war ein Freund von Miguel Montes. Soviel er wusste, wohnte Miguel Montes noch immer in Santa Teresa, bei einer Prostituierten. Wie die Prostituierte hieß, wusste er nicht, nur dass sie noch jung war und eine Zeitlang in einem Laden namens Innere Angelegenheiten gearbeitet hatte. Elsa Fuentes?, fragte Harry Magaña, und der Typ drehte sich um, sah ihn an und nickte. Er hatte das verhuschte Gesicht aller armen Teufel und ewigen Verlierer. Ich glaube, so heißt sie, sagte er. Und woher weiß ich, Chuchito, dass du mich nicht anlügst?, sagte Ramírez. Weil ich Sie nie anlüge, Chef, sagte der Zuhälter. Aber ich muss auf Nummer sicher gehen, Chuchito, sagte der mexikanische Polizist und zog dabei ein Messer aus der Tasche. Es war ein Springmesser mit Perlmuttgriff und einer schmalen, fünfzehn Zentimeter langen Stahlklinge. Ich würde Sie nie anlügen, Chef, krächzte Chucho. Das ist wichtig für meinen Freund, Chuchito, woher weiß ich denn, dass du Miguel Montes nicht anrufst, wenn wir weg sind? Das würde ich nie tun, nie, nie, nicht, wenn Sie es sind, Chef, ich käme nicht mal auf die Idee. Was machen wir, Harry? Ich glaube, der Scheißkerl lügt nicht, sagte Harry Magaña. Als er die Klotür öffnete, standen dort zwei Nutten und der Türsteher des Hauses. Die Nutten waren klein und pummelig und offenbar von der sentimentalen Sorte, denn als sie Chucho gesund und munter sahen, fielen sie ihm lachend und weinend um den Hals. Als Letzter verließ Ramírez die Toilette. Irgendwelche Probleme?, fragte er den Türsteher. Keine, antwortete der mit dünner Stimme. Also alles okay? Alles bestens, sagte der Türsteher. Als sie auf die Straße traten, hatte sich vor dem Eingang eine lange Schlange junger Leute gebildet, die in die Diskothek wollten. Am Ende des Bürgersteigs erkannte Harry Magaña gerade noch Chucho, der mit seinen beiden Nutten im Arm davonzog. Über ihm hing ein runder Mond, der ihn an das Meer erinnerte, das er erst dreimal in seinem Leben gesehen hatte. Der geht ins Bett, sagte Ramírez, als er neben Harry Magaña stand. Zu viel Angst und zu viel Aufregung, um nicht den dringenden Wunsch nach einem anständigen Sessel, einem anständigen Highball, einer anständigen Sendung im Fernsehen und einem anständigen Essen zu verspüren, zubereitet von seinen beiden Alten. Kochen ist nämlich das Einzige, wozu sie zu gebrauchen sind,

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