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immer unterschiedlich verlaufe, und wer an dem genauen Todesdatum interessiert sei, solle am besten die Knochen an das Gerichtsmedizinische Institut in Hermosillo oder, noch besser, in DF schicken. Die Polizei von Santa Teresa gab eine öffentliche Stellungnahme ab, die indirekt nur dazu diente, sich letztlich für nicht zuständig zu erklären. Bei dem Mörder könne es sich durchaus um einen Autofahrer auf dem Weg von Baja California nach Chihuahua und bei der Toten um eine Anhalterin handeln, die jener in Tijuana aufgegabelt, in Saric ermordet und eher zufällig in Hijos de Morelos vergraben hatte.
Am fünfzehnten Januar tauchte die nächste Tote auf. Es handelte sich um Claudia Pérez Millán. Ihre Leiche wurde in der Calle Sahuaritos gefunden. Die Frau trug einen schwarzen Sweater und an jeder Hand zwei billige Ringe, zusätzlich zu einem Verlobungsring. Sie trug weder Rock noch Unterhose, dafür aber rote, absatzlose Schuhe aus Kunstleder. Die Tote, die man vergewaltigt und erwürgt hatte, war in eine weiße Decke gewickelt, als hätte der Mörder vorgehabt, die Leiche anderswohin zu schaffen, sich aber plötzlich, vielleicht durch äußere Umstände gezwungen, dafür entschieden, sie hinter einem Müllcontainer in der Calle Sahuaritos abzulegen. Claudia Pérez Millán war einunddreißig und lebte mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in der Calle Marquesas, nicht weit von der Stelle, wo man sie fand. Als die Polizei vor ihrer Wohnung stand, machte niemand auf, obwohl von drinnen Weinen und Schreie zu hören waren. Die Beamten, die einen richterlichen Durchsuchungsbefehl bei sich hatten, brachen die Haustür auf und fanden in einem verschlossenen Zimmer die minderjährigen Geschwister Juan und Frank Aparicio Pérez. Außerdem gab es im Zimmer einen Eimer mit Wasser und zwei Pakete Toastbrot. Bei der Vernehmung der Jungen in Anwesenheit eines Kinderpsychologen bestätigten beide, ihr Vater Juan Aparicio Regla habe sie am gestrigen Abend eingeschlossen. Danach hätten sie Schreie und Lärm gehört, ohne dass sie sagen konnten, wer geschrien und was den Lärm verursacht habe, und irgendwann seien sie eingeschlafen. Am nächsten Morgen sei außer ihnen niemand mehr in der Wohnung gewesen, und als sie die Polizisten hörten, hätten sie zu schreien begonnen. Juan Aparicio Regla besaß ein Auto, das ebenfalls verschwunden war, woraus man schloss, dass der mutmaßliche Täter es als Fluchtfahrzeug benutzt hatte. Ihr Geld verdiente Claudia Pérez Millán als Kellnerin in einer Cafeteria in der Innenstadt. Von Juan Aparicio Regla war nicht bekannt, dass er eine feste Arbeit hatte; einige meinten, er habe in einer Maquiladora gejobbt, andere, er sei als Schlepper am Transfer von Emigranten in die USA beteiligt gewesen. Gegen ihn wurde Haftbefehl erlassen, aber wer sich auskannte, wusste, dass man ihn in der Stadt nie wiedersehen würde.
Im Februar starb María de la Luz Romero. Sie war vierzehn Jahre alt, eins achtundfünfzig groß, hatte Haare, die ihr bis zur Hüfte reichten, obwohl sie mit dem Gedanken spielte, sie sich demnächst abzuschneiden, wie sie einer ihrer Schwestern anvertraut hatte. Seit kurzem arbeitete sie bei EMSA, einer der ältesten Maquiladoras in Santa Teresa, die nicht in einem Industriepark lag, sondern mitten in der Siedlung La Preciada, wo sie wie eine melonenfarbige Pyramide aufragte, mit einem hinter Schornsteinen versteckten Opferaltar und zwei riesigen Toren, durch die Arbeiter und Lastwagen ins Innere gelangten. María de la Luz Romero hatte abends um sieben das Haus verlassen, als zwei Freundinnen sie abholen kamen. Ihren Schwestern hatte sie gesagt, sie wolle zum Tanzen ins Sonorita gehen, eine Arbeiterdisko auf der Grenze zwischen den Siedlungen San Damián und Plata, und würde dort etwas essen. Ihre Eltern waren nicht zu Hause, sie hatten in der Woche Nachtschicht. Tatsächlich aß María de la Luz Romero mit ihren Freundinnen im Stehen an einem Imbisswagen, der Tacos und Quesadillas verkaufte und direkt gegenüber der Diskothek parkte, die sie gegen acht Uhr betraten, als sie bereits voller junger Leute war, die sie kannten, weil sie entweder auch bei EMSA arbeiteten oder im gleichen Viertel wohnten. Eine der Freundinnen sagte aus, María de la Luz habe allein getanzt, im Gegensatz zu den anderen, die dort feste Freunde oder gute Bekannte hatten. Zweimal jedoch sei sie von jungen Männern angesprochen worden, die sie zu einem Getränk oder Drink einladen wollten, was María de la Luz
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