Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
2666

2666

Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
Vom Netzwerk:
zu gehen verleiht Ruhe und Ausgeglichenheit, eine Art inneren Frieden. Keinen großen inneren Frieden, wir wollen nicht übertreiben, aber doch einen kleinen, leuchtenden inneren Frieden. Welch ein Unterschied zwischen den Ballaststoffen und dem Eisen. Ballaststoffe gehören zur Nahrung von Pflanzenfressern, sie sind fasrig klein und dienen nicht unserer Ernährung, sondern verleihen uns einen inneren Frieden von der Größe einer Springbohne. Eisen dagegen steht für Härte gegenüber anderen und gegenüber sich selbst in ihrer höchsten Form. Von welchem Eisen spreche ich? Nun, von dem Eisen, aus dem man Schwerter schmiedet. Oder aus dem Schwerter geschmiedet wurden und das auch für Erstarrung steht. Jedenfalls ist Eisen etwas, womit man tötet. König Salomon, der kluge König Salomon, vermutlich der klügste König der Geschichte, Sohn des Königs von Las Mañanitas, unserem Geburtstagsständchen, und Schutzpatron der Kindheit, obwohl er einmal fast ein Kleinkind habe zweiteilen lassen, verbot beim Bau des Jerusalemer Tempels, den er befohlen hatte, kategorisch die Verwendung von Eisen für Stützen und Träger, nicht einmal bei kleinsten Details, und er verbot außerdem die Benutzung von Eisen bei der Beschneidung, eine Maßnahme, nebenbei gesagt und ohne jemandem zu nahe treten zu wollen, die in jener Zeit und in jenen Einöden ihre Berechtigung gehabt haben mag, die ich aber angesichts der modernen hygienischen Möglichkeiten für übertrieben halte. Ich finde, Männer sollen sich, wenn sie es wollen, mit einundzwanzig beschneiden lassen, und wenn sie es nicht wollen, auch gut. Zum Eisen sei noch gesagt, sagte Florita, dass weder die Griechen noch die Kelten es dazu benutzten, wundertätige und heilkräftige Kräuter zu schneiden. Denn das Eisen symbolisierte Tod, Erstarrung, Macht. Und das steht im Widerspruch zu den Heilverfahren. Wenngleich die Römer dem Eisen später eine ganze Reihe lindernder oder heilender Kräfte zuschrieben, etwa bei Bissen tollwütiger Hunde, Blutungen, Ruhr, Hämorrhoiden. Diese Vorstellung lebte im Mittelalter fort, wo man zudem glaubte, Dämonen, Hexen und Zauberer würden vor Eisen fliehen. Wie sollten sie auch nicht, wo man sie doch mit Eisen tötete! Sie wären schön blöd gewesen, wenn sie nicht Reißaus genommen hätten! In jener dunklen Zeit wurde die als Sideromantie bezeichnete Methode der Prophezeiung betrieben, bei der man ein Stück Eisen in der Esse zum Glühen brachte und mit Strohhalmen bestreute, die beim Verbrennen sternartige Funken sprühten. Gut poliert bekam es einen blendenden Glanz, der dazu diente, die Augen vor dem bösen Blick zu schützen. Das auf Hochglanz polierte Eisen erinnert mich, entschuldigen Sie die Abschweifung, an die schwarz verspiegelten Sonnenbrillen einiger Politiker oder Gewerkschaftsführer oder Polizisten. Warum verdecken sie ihre Augen, frage ich mich. Haben sie eine schlaflose Nacht damit zugebracht, Maßnahmen zu ersinnen, wie sie das Land voranbringen, den Arbeitern mehr Sicherheit am Arbeitsplatz und höhere Löhne verschaffen, die Kriminalität wirksamer bekämpfen können? Möglich. Ich will es nicht ausschließen. Vielleicht ist das der Grund für die Ringe unter ihren Augen. Aber was würde geschehen, wenn ich auf einen zuginge, ihm die Brille abnähme und sähe, dass er gar keine Augenringe hat? Die Vorstellung macht mir Angst. Sie macht mich wütend. Sehr wütend, liebe Freundinnen und Freunde. Aber mehr Angst und Wut mache ihr, und das müsse sie hier sagen, vor laufender Kamera, in der wunderbaren Sendung von Reinaldo mit dem passenden Titel Eine Stunde mit Reinaldo, einer reizenden und wohltuenden Sendung, bei der alle etwas zum Lachen hätten, gut unterhalten würden und nebenbei etwas lernen könnten, da Reinaldo ein gebildeter Bursche sei, der sich immer bemühe, interessante Gäste einzuladen, eine Sängerin, einen Maler, einen pensionierten Feuerschlucker aus DF, einen Innenarchitekten, einen Bauchredner und seine Puppe, eine Mutter von fünfzehn Kindern, einen Komponisten romantischer Balladen, sie müsse, sagte sie, hier, wo man ihr die Gelegenheit dazu gebe, über andere Dinge sprechen, das heißt, sie dürfe nicht über sich selbst sprechen, sie dürfe nicht der Versuchung des Egos erliegen, der Eitelkeit, die im Falle eines siebzehn- oder achtzehnjährigen Mädchens vielleicht weder Eitelkeit noch Sünde noch sonst was wäre, bei einer Frau von siebzig Jahren indes unverzeihlich, auch wenn mein Leben, sagte

Weitere Kostenlose Bücher