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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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zusammen mit ihren Eltern und Geschwistern lebte. Den Fall übernahmen Epifanio Galindo und Noé Velasco von der Ortspolizei von Santa Teresa, um die Kriminalbeamten zu entlasten, die über zu viel Arbeit klagten. Einen Tag nach dem Fund von Estrella Ruiz Sandoval wurde auf der Brache an der Calle Amistad in der Siedlung La Preciada die Leiche der zweiundzwanzig Jahre alten Mónica Posadas entdeckt. Dem Gerichtsmediziner zufolge war Mónica anal und vaginal vergewaltigt worden, allerdings fanden sich Spermareste auch in der Kehle der Toten, was dazu beitrug, dass in Polizeikreisen die Rede von der »dreikanaligen« Vergewaltigung aufkam. Es gab jedoch einen Polizisten, der sagte, eine vollständige Vergewaltigung habe fünfkanalig zu geschehen. Auf die Frage, welches die beiden zusätzlichen Kanäle seien, erwiderte er: Die Ohren. Ein anderer Polizist sagte, er habe von einem Typen aus Sinaloa gehört, der zum Vergewaltigen sieben Kanäle nehme. Also die vorerwähnten fünf und zusätzlich die Augen. Ein weiterer Polizist sagte, er habe von einem Typen aus DF gehört, der acht Kanäle brauche, die sieben genannten, die Klassiker sozusagen, und zusätzlich den Nabel, zu welchem Zweck der Typ aus DF mit seinem Messer einen nicht sehr großen Schnitt mache und dann seinen Schwanz hineinstecke, aber klar, dafür musste man schon ein ziemlicher Taras Bulba sein. Der Spruch von der »dreikanaligen« Vergewaltigung machte jedenfalls die Runde, bürgerte sich bei der Polizei von Santa Teresa ein und erlangte einen halboffiziellen Status, was sich gelegentlich in den Polizeiberichten widerspiegelte, in den Verhören, in Plaudereien »off the record« mit der Presse. Was Mónica Posadas betraf, so war sie nicht nur »dreikanalig« vergewaltigt, sondern außerdem erwürgt worden. Ihr Körper, den man halb versteckt hinter Pappkartons fand, war von der Hüfte abwärts nackt. Die Beine waren blutverschmiert. So sehr, dass es von weitem oder aus einiger Höhe für einen Unbekannten (oder einen Engel, denn es gab dort kein Gebäude, von dem man auf sie hätte herunterschauen können) fast so aussah, als trüge sie rote Strümpfe. Ihre Scheide war aufgerissen. Scham und Leisten zeigten deutliche Biss- und Reißspuren, als hätte ein Straßenköter an ihr zu fressen versucht. Die Kriminalbeamten konzentrierten ihre Ermittlungen auf die Verwandtschaft und den Bekanntenkreis von Mónica Posadas, die bei ihrer Familie in der Calle Hipólito gelebt hatte, rund sechs Querstraßen von der Brachfläche entfernt, wo man ihre Leiche fand. Ihre Mutter und ihr Stiefvater sowie der ältere Bruder arbeiteten in der Maquiladora Overworld, wo auch Mónica drei Jahre lang beschäftigt gewesen war, bis sie beschloss, zu kündigen und ihr Glück in der Maquiladora Country&SeaTech zu versuchen. Mónicas Familie stammte aus einem kleinen Dorf in Michoacán, das sie vor zehn Jahren verlassen hatte, um sich in Santa Teresa niederzulassen. Anfangs schien sich ihre Situation eher zu verschlechtern als zu verbessern, und der Vater beschloss, über die Grenze zu gehen. Sie hörten nie wieder etwas von ihm, und nach einiger Zeit erklärten sie ihn für tot. Damals lernte Mónicas Mutter einen fleißigen und gewissenhaften Mann kennen, den sie schließlich heiratete. Aus dieser neuen Ehe gingen drei Kinder hervor, von denen eins später in einer kleinen Schuhfabrik arbeitete, die anderen zur Schule gingen. Als man den Stiefvater verhörte, verwickelte dieser sich schon bald in auffällige Widersprüche und räumte seine Schuld an dem Mord schließlich ein. In seinem Geständnis gab er an, Mónica seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr heimlich geliebt zu haben. Seither sei sein Leben eine einzige Qual gewesen, sagte er den Kommissaren Juan de Dios Martínez, Ernesto Rebolledo und Efraín Bustelo, aber er habe sich immer zusammengerissen und respektvoll verhalten, teils weil sie seine Stieftochter, teils weil ihre Mutter auch die Mutter seiner eigenen Kinder war. Sein Bericht vom Tag des Verbrechens war ungenau und äußerst lückenhaft. In seiner ersten Aussage gab er an, es sei im Morgengrauen geschehen, in der zweiten, die Sonne habe schon am Himmel gestanden und nur er und Mónica seien im Haus gewesen, da beide in dieser Woche Spätschicht gehabt hätten. Die Leiche habe er in einem Schrank versteckt. In meinem Schrank, sagte er zu den Kriminalbeamten, den außer mir niemand anfasste, weil der Schrank mir gehört, und ich will, dass meine Sachen respektiert

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