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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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sie, für mehrere Romane gut wäre, mindestens für eine Telenovela, aber mögen der Herrgott und vor allem die Heilige Jungfrau sie davor bewahren, von sich zu erzählen, Reinaldo möge mir verzeihen, er will, dass ich von mir erzähle, aber es gibt etwas Wichtigeres als meine Person und meine sogenannten Wunder, die keine Wunder sind, wie ich nicht müde werde zu wiederholen, sondern das Ergebnis jahrelangen Lesens und Umgangs mit Pflanzen, das heißt, die Wunder sind das Ergebnis von Arbeit, Beobachtung und vielleicht, ich sage vielleicht, auch von natürlicher Begabung, sagte Florita. Und sagte dann: Es macht mich sehr wütend, es macht mir Angst und macht mich wütend, was in diesem schönen Sonora geschieht, der Heimat, in der ich geboren wurde und wahrscheinlich dereinst sterben werde. Und sagte dann: Ich spreche von den Visionen, bei denen dem männlichsten Mann der Atem stocken würde. In Träumen sehe ich die Verbrechen, und zwar so, als würde ein Fernsehapparat explodieren und als würde ich in den über mein Schlafzimmer verstreuten Splittern weiter fürchterliche Szenen und nie versiegende Tränen sehen. Und sagte: Nach diesen Visionen kann ich nicht einschlafen. Ich kann dann nehmen, was ich will, um die Nerven zu beruhigen, alles vergebens. Im Haus des Schmieds sind die Löffel aus Holz. So liege ich denn wach bis zum Morgengrauen und versuche zu lesen und etwas Nützliches oder Praktisches zu tun, aber am Ende setze ich mich an den Küchentisch und zerbreche mir den Kopf über das Problem. Schließlich sagte sie: Ich spreche von den Frauen, die man in Santa Teresa bestialisch ermordet hat, ich spreche von den Mädchen, den Müttern, den Arbeiterinnen aller Art, die täglich in den Vierteln und Außenbezirken der geschäftigen Stadt im Norden unseres Bundesstaates tot aufgefunden werden. Ich spreche von Santa Teresa. Ich spreche von Santa Teresa.
    Was die toten Frauen von August 1995 betrifft, so hieß die erste Aurora Muñoz Álvarez. Ihre Leiche fand man auf dem Randstreifen der Landstraße von Santa Teresa nach Cananea. Tod durch Erwürgen. Sie war achtundzwanzig Jahre alt, trug einen grünen Badeanzug, eine weiße Strandbluse und rosa Turnschuhe. Dem Gerichtsmediziner zufolge war sie geschlagen und ausgepeitscht worden: Auf ihrem Rücken waren die Striemen eines breiten Gürtels noch gut zu erkennen. Sie arbeitete als Bedienung in einem Café in der Innenstadt. Der erste Verdacht fiel auf ihren Freund, mit dem sie sich nach Aussage von Zeugen nicht gut vertrug. Dieser Mensch hieß Rogelio Reinosa, arbeitete in der Maquiladora Rem&Co und hatte für den Nachmittag, an dem Aurora Muñoz entführt worden war, kein Alibi. Eine Woche lang wurde er pausenlos verhört. Nach einem Monat, er saß da bereits im Gefängnis von Santa Teresa ein, ließ man ihn aus Mangel an Beweisen frei. Zu weiteren Verhaftungen kam es nicht. Nach Aussagen von Augenzeugen, die keine Sekunde lang den Verdacht gehabt hatten, es könne sich um eine Entführung handeln, war Aurora Muñoz in Begleitung zweier Typen, die sie zu kennen schien, in einen schwarzen Peregrino gestiegen. Zwei Tage, nachdem die Leiche des ersten August-Opfers aufgetaucht war, fand man die Leiche der dreiunddreißigjährigen Emilia Escalante Sanjuán, Oberkörper und Hals von Blutergüssen übersät. Fundort war die Kreuzung Michoacán und General Saavedra in der Siedlung Trabajadores. Zur Todesursache heißt es im gerichtsmedizinischen Gutachten, sie sei erwürgt, zuvor jedoch unzählige Male vergewaltigt worden. Im Bericht des zuständigen Kriminalbeamten, Ángel Fernandez, liest man dagegen, die Tote sei vergiftet worden. Emilia Escalante Sanjuán wohnte in der Siedlung Morelos, im Westen der Stadt, und arbeitete in der Maquiladora NewMarkets. Sie hatte zwei kleine Kinder und lebte mit ihrer Mutter zusammen, die sie aus Oaxaca, woher sie stammte, hatte nachkommen lassen. Sie war unverheiratet, aber einmal alle zwei Monate zog sie mit Arbeitskolleginnen durch die Diskotheken im Zentrum, betrank sich meist und ließ sich von irgendeinem Kerl abschleppen. Eine Beinah-Nutte, sagten die Polizisten. Eine Woche später wurde an der Straße nach Casas Negras die Leiche der siebzehnjährigen Estrella Ruiz Sandoval gefunden. Vergewaltigt und erwürgt. Sie trug Bluejeans und eine dunkelblaue Bluse. Die Arme hatte man ihr auf den Rücken gefesselt. Ihr Körper zeigte keine Spuren von Schlägen oder Folterung. Sie war drei Tage zuvor von zu Hause verschwunden, wo sie

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