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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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werden. Nachts, als die Familie schlief, habe er die Leiche in eine Decke gewickelt und auf der nächstgelegenen Brachfläche entsorgt. Auf die Frage nach den Bissen und dem vielen Blut auf Mónicas Beinen wusste er keine Antwort. Er sagte, er habe sie erwürgt, nur daran könne er sich erinnern. Alles andere sei aus seinem Gedächtnis verschwunden. Zwei Tage, nachdem Mónicas Leiche auf der Brache an der Calle Amistad aufgetaucht war, fand man an der Landstraße von Santa Teresa nach Caborca noch eine Tote. Dem Gerichtsmediziner zufolge handelte es sich um eine Frau im Alter zwischen achtzehn und zweiundzwanzig, vielleicht auch zwischen sechzehn und dreiundzwanzig Jahren. Die Todesursache jedenfalls war eindeutig: Eine Kugel aus einer Handfeuerwaffe. Fünfundzwanzig Meter von ihr entfernt entdeckte man das Skelett einer weiteren Frau, bäuchlings und halbvergraben, mit Resten einer blauen Jacke und teuren Lederschuhen mit halbhohen Absätzen. Der Zustand der Leiche machte eine Feststellung der Todesursache unmöglich. Eine Woche später, der August ging bereits dem Ende zu, fand man an der Landstraße von Santa Teresa nach Cananea die Leiche der fünfundzwanzigjährigen Jacqueline Ríos, Angestellte einer Parfümerie in der Siedlung Madero. Sie trug Jeans und eine perlgraue Bluse, weiße Turnschuhe und schwarze Unterwäsche. Sie war durch Schüsse in Bauch und Unterleib getötet worden. Sie teilte sich die Wohnung mit einer Freundin in der Calle Bulgaria, Siedlung Madero, und beide träumten davon, eines Tages nach Kalifornien auszuwandern. In dem Zimmer, das sie mit ihrer Freundin teilte, hingen aus Illustrierten entnommene Bilder von Hollywoodstars und fernen Ländern an den Wänden. Wir wollten zunächst nach Kalifornien auswandern, eine anständige, gut bezahlte Arbeit finden und später, wenn wir uns eingelebt hätten, in den Ferien in der Welt herumreisen, sagte die Freundin. Beide besuchten Englischkurse an einer Privatschule in der Siedlung Madero. Der Fall blieb unaufgeklärt.
    Diese verdammten Kripobeamten klären ihre Fälle nie auf, sagte Epifanio zu Lalo Cura. Dann suchte er in seinen Papieren, bis er ein kleines Büchlein fand. Was, glaubst du, ist das?, fragte er. Ein Adressbuch, sagte Lalo Cura. Nein, sagte Epifanio, ein ungelöster Fall. Passiert, bevor du nach Santa Teresa kamst. Ich weiß nicht mehr, wann das war. Kurz bevor Pedro dich mitgebracht hat, daran erinnere ich mich noch, aber nicht an das genaue Jahr. Vielleicht 93? In welchem Jahr bist du gekommen? 1993, sagte Lalo Cura. Ach, wirklich? Ja, wirklich, sagte Lalo Cura. Gut, dann geschah es Monate vor deiner Ankunft, sagte Epifanio. Damals wurde eine Radiomoderatorin, eine Journalistin, ermordet. Sie hieß Isabel Urrea. Sie wurde erschossen. Niemand hat je herausgefunden, wer der Mörder war. Man suchte, aber man fand ihn nicht. Natürlich kam niemand auf die Idee, sich den Terminkalender von Isabel Urrea anzuschauen. Die Idioten waren der Meinung, es handle sich um einen missglückten Raubüberfall. Man sprach von einem Mittelamerikaner. Einem armen Teufel, der Geld brauchte, um über die Grenze zu gelangen, einem Illegalen, verstehst du? Illegal sogar hier in Mexiko, das will schon etwas heißen, wo wir hier doch alle illegal hoch zwei sind und es keinen interessiert, ob ein Illegaler mehr oder weniger herumspringt. Ich war dabei, als ihre Wohnung durchsucht wurde, um irgendeine Spur zu finden. Natürlich fanden sie nichts. Der Terminkalender von Isabel Urrea steckte in ihrer Tasche. Ich weiß noch, dass ich mich mit einem Glas Tequila, Isabel Urreas Tequila, in einen Sessel setzte und einen Blick auf den Terminkalender warf. Ein Kripobeamter fragte mich, woher der Tequila sei, aber niemand fragte mich, woher ich den Terminkalender hätte oder ob etwas Wichtiges drinstehe. Ich las ihn, einige Namen sagten mir etwas, dann legte ich ihn zu den Beweisstücken. Einen Monat später schaute ich im Archiv des Kommissariats vorbei, und da lag der Terminkalender, neben den anderen Habseligkeiten der Radiomoderatorin. Ich steckte ihn in die Sakkotasche und nahm ihn mit. So konnte ich ihn mir in Ruhe genauer ansehen. Ich fand die Telefonnummern dreier Drogenhändler. Einer davon war Pedro Rengifo. Ich fand auch die Nummern mehrerer Kriminalbeamter, darunter ein hohes Tier aus Hermosillo. Was hatten diese Nummern im Terminkalender einer einfachen Radiomoderatorin zu suchen? Hatte sie Interviews mit ihnen geführt, sie ins Studio eingeladen? War sie

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