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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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Drogengeschäften ans Messer zu liefern, vielmehr wollte er ihn auf legale Weise aus dem Verkehr ziehen und seine Tour still und leise wieder selbst übernehmen. Als sich diese Gelegenheit ergab (eine Weibergeschichte, bei der Enriquito die Hand ausrutschte und er vier Angehörige einer Familie umbrachte), gab Campuzano den Behörden von Sonora die nötigen Hinweise, bezahlte und schmierte die richtigen Leute, und das Ende vom Lied war, dass Enriquito im Knast landete. In den ersten zwei Wochen passierte nichts, aber in der dritten Woche tauchten in einem Schuppen in der Umgebung von San Blas, im Norden des Bundesstaates Sinaloa, vier Bewaffnete auf, und nachdem sie die beiden Bewacher erschossen hatten, zogen sie mit einer Ladung von hundert Kilo Kokain wieder ab. Der Schuppen gehörte einem Farmer aus Guaymas, im Süden des Bundesstaates Sonora, der seit über fünf Jahren tot war. Zur Untersuchung der Angelegenheit schickte Campuzano einen seiner Vertrauensleute los, einen gewissen Sergio Cansino (alias Sergio Carlos, alias Sergio Camargo, alias Sergio Carrizo), der nach Erkundigungen an der Tankstelle und in der Umgebung nur herausfand, dass im Zeitraum des Überfalls mehrere Personen einen schwarzen Suburban gesichtet hatten, wie er von Enriquitos Männern benutzt wurde. Daraufhin klapperte Sergio die Farmen in der Gegend ab, um vielleicht irgendwo den Besitzer des Wagens zu finden, dehnte seine Suche sogar bis El Fuerte aus, aber niemand, auch nicht die wenigen Farmer, denen er begegnete, hatten das Geld, sich einen solchen Wagen zu kaufen. Keine wirklich beruhigende Information, aber nicht mehr, dachte Estanislao Campuzano, eine Information, die man überprüfen musste. Der Suburban konnte auch einer US-amerikanischen Touristin gehören, die sich in diese staubigen Gefilde verirrt hatte, oder einem Kriminalbeamten auf der Durchfahrt oder einem hohen Funktionär, der mit seiner Familie Urlaub machte. Kurze Zeit später wurde auf der Pistenstraße von La Discordia nach El Sasabe an der Grenze zu den Vereinigten Staaten ein Lastwagen mit zwanzig Kilo Kokain für Estanislao Campuzano überfallen und Fahrer und Beifahrer ermordet, die beide unbewaffnet waren, weil sie am Nachmittag die Grenze nach Arizona passieren wollten, und niemand, der über die Grenze will, ist bewaffnet, wenn er Drogen transportiert. Entweder man hat Waffen bei sich oder Drogen, aber nicht beides zusammen. Von den Männern, die den Lastwagen fuhren, erfuhr man nie wieder etwas. Von dem Kokain auch nicht. Der Lastwagen tauchte zwei Monate später auf einem Schrottplatz in Hermosillo wieder auf. Sergio Cansino zufolge hatte der Schrottplatzbesitzer den übrigens wirklich schrottreifen Lastwagen drei Junkies abgekauft, Gewohnheitsverbrechern und Polizeispitzeln aus Hermosillo. Er sprach mit einem von ihnen mit dem Spitznamen El Elvis und erfuhr, dass ihnen der Lastwagen für ein paar Kröten von einem Desperado aus Sinaloa verkauft worden sei. Als Sergio fragte, woher er wisse, dass er aus Sinaloa stammte, erwiderte El Elvis, wegen seiner Art zu reden. Als er fragte, woher er wisse, dass es ein Desperado gewesen sei, erwiderte El Elvis, wegen seiner Augen. Ein Blick wie ein Desperado, einer, der vor nichts Angst hat, weder vor den Bullen noch vor irgendwelchen coolen Typen, ein echter Desperado, der genauso schnell deiner Leber eine Kugel verpasst, wie er dir für eine Marlboro oder einen Joint seinen Lastwagen vermacht. Er hat dir für eine Haschfluppe seinen Lastwagen abgetreten?, fragte Sergio lachend. Für eine halbe Tüte, sagte El Elvis. Diesmal wurde Campuzano dann doch wütend.
    Warum beschützt Enriquito Hernández, auf seine Art natürlich, diesen Haas?, fragte sich Kommissar Juan de Dios Martínez. Was hat er davon? Wem schadet er, wenn er Haas beschützt? Außerdem fragte er sich: Wie lange noch will er ihn beschützen? Einen Monat, zwei Monate, so lange, wie er es für nötig hält? Sollte man Sympathie, Freundschaft ausschließen? Konnte es nicht sein, dass Enriquito sich mit Haas angefreundet hatte? Konnte es nicht sein, dass sein Schutz nur durch Freundschaft motiviert war? Ach was, dachte Juan de Dios Martínez, Enriquito Hernández hatte keine Freunde.
    Im Oktober 1995 tauchten in Santa Teresa und Umgebung keine weiteren toten Frauen auf. Seit Mitte September herrschte in der Stadt, wie man zu sagen pflegt, tiefer Frieden. Im November aber fand man in der Schlucht El Ojito eine Unbekannte, die später als die fünfzehnjährige

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