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Sie hatten die Musik voll aufgedreht. Die Männer winkten eine der Frauen heran und sprachen kurz mit ihr. Dann entfernte sich die Frau von dem Wagen, und die Männer winkten María Sandra heran. Diese lehnte sich auf das heruntergelassene Seitenfenster des Suburban, als würde sie sich anschicken, erst einmal über den Preis zu diskutieren, den sie verlangen wollte. Aber das Gespräch dauerte kaum eine Minute. Einer der Männer zog eine Waffe und verpasste ihr aus nächster Nähe eine Kugel. María Sandra fiel hintenüber, und im ersten Moment begriffen die auf dem Gehweg wartenden Prostituierten nicht, was geschah. Dann sahen sie, wie aus dem Seitenfenster ein Arm mit einer Pistole auftauchte und der am Boden liegenden María Sandra den Rest gab. Anschließend gab der Suburban Gas und verschwand in Richtung Innenstadt. Niemand hatte sich die Autonummer gemerkt. Die Prostituierte, die mit den Unbekannten gesprochen hatte, sagte, diese hätten sie nach María Sandra gefragt. Sie sprachen von ihr, als würden sie sie vom Hörensagen kennen, als hätte jemand sie ihnen gegenüber in höchsten Tönen gelobt. Sie waren zu dritt, und zu dritt wollten sie mit ihr eine Nummer schieben. An ihre Gesichter konnte sie sich nicht genau erinnern. Sie waren Mexikaner, sprachen wie Leute aus Sonora und wirkten aufgekratzt, wie Leute, die eine wilde Nacht verleben wollten. Einem von Epifanio Galindos Vertrauten zufolge tauchten eine Stunde nach dem Mord an María Sandra drei Männer in der Bar Los Zancudos auf. Die Typen waren harte Burschen und tranken gläserweise Mezcal, wie andere Erdnüsse knabbern. Irgendwann zog einer von ihnen eine Waffe aus dem Gürtel und zielte auf die Decke, als wollte er eine Spinne abknallen. Niemand sagte etwas, und der Typ steckte seine Waffe wieder ein. Dem Informanten zufolge hatte es sich um eine österreichische Glock mit einem Magazin für fünfzehn Schuss gehandelt. Dann habe sich eine vierte Person zu ihnen gesellt, ein langer, hagerer Typ in weißem Hemd; sie hatten noch ein Weilchen miteinander getrunken und waren dann in einem hellroten Dodge davongefahren. Epifanio fragte seinen Informanten, ob sie nicht in einem Suburban gekommen seien. Das wisse er nicht, sagte der Mann, nur, dass sie in einem hellroten Dodge weggefahren seien. Die Kugeln, die María Sandras Leben beendet hatten, waren Kaliber .7,65 Browning. Die Glock verwendet Kugeln vom Kaliber .9 Parabellum. Wahrscheinlich wurde eine tschechische Schnellfeuerpistole vom Typ Skorpion benutzt, um das arme Mädchen zu erschießen, dachte Epifanio, eine Waffe, die er nicht mochte, die aber in letzter Zeit in Santa Teresa häufiger zum Einsatz kam, besonders bei kleinen Drogenhändlerringen und Entführern, die aus Sinaloa herübergekommen waren.
In Santa Teresas Tageszeitungen fand die Nachricht höchstens auf den hinteren Seiten Erwähnung, und wenige überregionale Medien griffen sie auf. »Beglichene Rechnungen hinter Gittern« lautete die Überschrift. Vier wegen Ermordung einer Jugendlichen angeklagte Mitglieder der Gang der Kaziken, die im Gefängnis von Santa Teresa auf ihren Prozess warteten, sind von Mithäftlingen massakriert worden. Ihre leblosen Körper lagen aufgeschichtet im Lagerraum für Reinigungsmittel der Anstaltswäscherei. Später fand man in den Toiletten die Leichen von zwei weiteren ehemaligen Mitgliedern der Kaziken. Angehörige der Strafanstalt und der Polizei haben das Verbrechen untersucht, ohne das Motiv und die Identität der Täter ermitteln zu können.
Als er mittags Besuch von seiner Anwältin bekam, sagte Haas, dass er die Ermordung der Kaziken miterlebt habe. Der ganze Gang war da, sagte Haas. Die Wärter schauten durch eine Art Luke von einem oberen Stockwerk aus zu. Machten Fotos. Niemand griff ein. Sie haben sie gepfählt. Ihnen den Arsch aufgerissen. Sind das schlimme Worte?, fragte Haas. Chimal, der Anführer, flehte brüllend, man möge ihn töten. Fünfmal brachten sie ihn mit einem Eimer Wasser wieder zu sich. Die Henker traten zurück, damit die Wärter gute Fotos schießen konnten. Sie traten zurück und ließen die Zuschauer zurücktreten. Ich stand nicht in der ersten Reihe. Ich konnte alles sehen, weil ich groß bin. Seltsam: Mir hat sich nicht der Magen umgedreht. Seltsam, sehr seltsam: Ich habe die Hinrichtung bis zum Ende mit angesehen. Der Henker schien glücklich. Er hieß Ayala. Hilfe bekam er von einem anderen, extrem hässlichen Typen aus meiner Zelle, Farfán heißt er. Auch
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