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Kollegen und ging ihm nach. Als er bei ihm eintraf, sah er vor ihm auf dem Boden den Körper einer Frau. Sie war mit etwas bekleidet, das aussah wie eine Bluse, an der Seite eingerissen, ansonsten von der Taille abwärts nackt. Ordóñez zufolge hatte Lalo Cura einen seltsamen Gesichtsausdruck, nicht erstaunt, eher glücklich. Wieso glücklich? Hat er gelacht? Gelächelt?, fragte man ihn. Nein, gelächelt nicht, sagte Ordóñez, er sah konzentriert aus, hochkonzentriert, als wäre er gar nicht da, nicht in diesem Moment, als stünde er im Barranco de Podestá, aber zu einem anderen Zeitpunkt, zu dem Zeitpunkt, als die Alte ermordet wurde. Als er neben Lalo Cura trat, sagte der zu ihm, er solle sich nicht bewegen. In der Hand hielt er ein Büchlein, hatte einen Bleistift gezückt und notierte alles, was er sah. Sie hat eine Tätowierung, hörte er Lalo Cura sagen. Gute Arbeit. Ihrer Haltung nach würde ich denken, dass man ihr das Genick gebrochen hat. Vorher wurde sie aber wahrscheinlich vergewaltigt. Wo hat sie die Tätowierung?, fragte Ordóñez. Am linken Oberschenkel, hörte er seinen Begleiter sagen. Dann richtete Lalo Cura sich auf und suchte in der Umgebung nach der fehlenden Kleidung. Er fand nur alte Zeitungen, verrostete Konservendosen, kaputte Plastiktüten. Hier ist ihre Hose nicht, sagte er. Dann sagte er zu Ordóñez, er solle hoch zum Wagen gehen und die Polizei rufen. Die Tote maß ein Meter zweiundsechzig und hatte langes schwarzes Haar. Sie trug nichts bei sich, wodurch man sie hätte identifizieren können. Niemand beanspruchte den Leichnam. Der Fall kam sehr bald zu den Akten.
Als Epifanio ihn fragte, warum, zum Teufel, er zum Barranco de Podestá gefahren sei, erwiderte Lalo Cura, weil er Polizist sei. Ein Rotzbengel, das ist er, sagte Epifanio, weiß er nicht, dass man sich nicht ungefragt in anderer Leute Angelegenheiten mischt? Dann packte Epifanio ihn beim Arm, sah ihm ins Gesicht und sagte, er wolle die Wahrheit wissen. Es kam mir komisch vor, sagte Lalo Cura, dass man in der ganzen Zeit nie eine Tote im Barranco de Podestá gefunden hat. Und woher weiß er das?, fragte Epifanio. Weil ich Zeitung lese, sagte Lalo Cura. Unser verschissenes kleines Muttersöhnchen hier liest die Zeitung? Ja, sagte Lalo Cura. Und liest womöglich auch Bücher? Ja, doch, sagte Lalo Cura. Die Scheißbücher für Scheißtypen, die ich ihm geschenkt habe? Die modernen Methoden polizeilicher Ermittlung von Harry Södermann, Exgeneraldirektor der schwedischen Landesanstalt für Polizeitechnik, und Exkommissar John J. O'Connell, dem Expräsidenten des Internationalen Polizeipräsidentenverbands, sagte Lalo Cura. Wenn diese Superpolizisten so super waren, warum sind sie dann jetzt alle Ex? Na los, erklär er mir das. Weiß er nicht, Trottel, dass es bei polizeilichen Ermittlungen keine modernen Methoden gibt? Unser Hosenscheißer hier ist ja noch nicht mal zwanzig, oder täusche ich mich? Du täuschst dich nicht, Epifanio, sagte Lalo Cura. Dann nimm dich gefälligst in Acht, Freundchen, das ist die erste und einzige Regel, sagte Epifanio, ließ ihn los, lächelte, nahm ihn in den Arm und führte ihn dann zum Essen in das einzige Lokal, wo man in der Innenstadt von Santa Teresa zu dieser trüben Nachtstunde Pozole vorgesetzt bekam.
Im Dezember, und das waren die letzten Toten des Jahres 1996, entdeckte man in einem leerstehenden Haus der Calle García Herrero, in der Siedlung El Cerezal, die Leichen von Estefanía Rivas, fünfzehn, und Herminia Noriega, dreizehn Jahre alt. Die beiden waren mütterlicherseits Schwestern. Estefanías Vater war kurz nach ihrer Geburt verschwunden. Der Vater von Herminia lebte bei der Familie und arbeitete in der Maquiladora MachenCorp als Nachtwächter, wo als einfache Arbeiterin auch die Mutter der Mädchen auf der Gehaltsliste stand; Letztere, die Mädchen, brauchten nur zur Schule zu gehen und im Haushalt mitzuhelfen, obwohl Estefanía sich mit dem Gedanken trug, im nächsten Jahr die Schule zu beenden und Arbeit zu suchen. Am Morgen ihrer Entführung gingen sie zusammen mit zwei jüngeren Schwestern, die eine elf, die andere acht Jahre alt, zum Unterricht. Die beiden Kleinen besuchten, wie Herminia, die Grundschule José Vasconcelas. Nachdem Estefanía sie wie immer dort abgesetzt hatte, lief sie weiter zu ihrer eigenen Schule, rund fünfzehn Straßen entfernt, eine Strecke, die sie jeden Tag zu Fuß zurücklegte. Am Tag der Entführung jedoch hielt ein Auto neben den vier
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