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niemand auf. Die Nachbarn, bei denen man nachfragte, sagten, sie hätten nichts gehört, obwohl die plötzliche Taubheit auch mit der Lautstärke der Fernseher zusammenhängen konnte, die so aufgedreht waren, dass man sie bis auf die Straße hörte. Ein kleiner Junge sagte jedoch, er habe, als er mit dem Rad vorbeifuhr, Schüsse gehört. Auf die Frage, wer in der Wohnung wohne, gaben die Nachbarn widersprüchliche Antworten, was die Streifenpolizisten zu der Annahme bewog, es könne sich um Drogenhändler handeln und es sei vielleicht besser, zu verduften und die Sache auf sich beruhen zu lassen. Einer der Nachbarn sagte jedoch, er habe vor dem Haus einen schwarzen Peregrino parken sehen. Die Polizisten zogen daraufhin ihre Pistolen und klingelten, erneut vergeblich, an der Haustür von Calle Herrero 667. Dann verständigten sie über Funk die Polizeidienststelle und warteten. Wieder eine halbe Stunde später traf ein zweiter Streifenwagen ein, um die, wie es hieß, Bewachung zu verstärken, und kurz darauf erschienen Juan de Dios Martínez und Lino Rivera. Letzterer erinnerte daran, dass der Befehl laute, auf die anderen Kommissare zu warten. Juan de Dios Martínez entgegnete, dafür sei keine Zeit, und auf seine ausdrückliche Anordnung brachen die Streifenpolizisten die Tür auf. Der Erste, der eintrat, war Juan de Dios Martínez. Die Wohnung, sagte er, rieche nach Sperma und Alkohol. Wie riechen Sperma und Alkohol? Nicht gut, sagte Juan de Dios Martínez, offen gestanden, nicht gut. Aber man gewöhnt sich dran. Anders der Geruch von verwesendem Fleisch. Daran gewöhne man sich nie, das setze sich im Kopf und sogar in den Gedanken fest, und selbst wenn man noch so oft dusche und dreimal am Tag die Kleider wechsele, bekomme man den Geruch oft tage- oder wochen- oder sogar monatelang nicht aus der Nase. Hinter ihm trat Lino Rivera ein, sonst niemand. Nichts anfassen, erinnerte sich dieser, habe Juan de Dios zu ihm gesagt. Zuerst inspizierten sie das Wohnzimmer. Alles normal. Billige, aber anständige Möbel, ein Tisch mit Zeitungen, nichts anfassen, sagte Juan de Dios, im Esszimmer zwei leere Flaschen Tequila Sauza und eine leere Flasche Wodka Absolut. Die Küche sauber. Alles normal. Reste einer McDonald's-Mahlzeit im Mülleimer. Sauberer Boden. Hinter dem Küchenfenster ein kleiner Hof, die eine Hälfte betoniert, die andere sandig mit ein paar Büschen, die sich an die Mauer zum Nachbarhof klammerten. Alles normal. Dann wieder zurück ins Haus. Juan de Dios Martínez voran, Lino Rivera hinterher. Der Flur. Die Zimmer. Zwei Zimmer. In dem einen, bäuchlings auf dem Bett, die nackte Leiche von Herminia. Verfluchte Scheiße, hörte Juan de Dios seinen Kollegen murmeln. Im Bad, zusammengerollt in der Dusche, Hände auf den Rücken gefesselt, die Leiche von Estefanía. Bleib hier im Flur. Geh nicht rein, sagte Juan de Dios. Er dagegen ging hinein. Ging hinein, kniete neben Estefanías Körper und untersuchte sie lange, bis er jedes Zeitgefühl verlor. Er hörte hinter sich Linos Stimme, der ins Funkgerät sprach. Der Gerichtsmediziner soll kommen, sagte Juan de Dios. Dieser kam zu dem Schluss, Estefanía sei durch zwei Genickschüsse getötet worden. Zuvor hatte man sie geschlagen, außerdem fanden sich Würgemale an ihrem Hals. Aber erdrosselt hat man sie nicht, sagte der Gerichtsarzt. Nur zum Spaß ein wenig gewürgt. An ihren Knöcheln fanden sich Abschürfungen. Sieht aus, als hätte man sie an den Füßen aufgehängt, sagte der Gerichtsmediziner. Juan de Dios suchte nach einem Balken oder einem Haken in der Decke. Die Wohnung war voller Polizisten. Jemand hatte ein Laken über Herminia gebreitet. Im anderen Schlafzimmer wurde er fündig: Ein eiserner Haken hing von der Decke, genau zwischen den beiden Betten. Er schloss die Augen und stellte sich vor, wie Estefanía kopfüber da hing. Er befahl zwei Polizisten, nach dem Seil zu suchen. Der Gerichtsmediziner befand sich jetzt bei Herminia im anderen Zimmer. Der haben sie auch einen Genickschuss verpasst, sagte er, als er ihn hereinkommen sah, aber ich glaube nicht, dass das die Ursache für ihren Tod war. Und warum dann der Genickschuss?, fragte Juan de Dios. Um auf Nummer sicher zu gehen. Alle außer den Leuten von der Spurensicherung verlassen bitte die Wohnung, rief Juan de Dios. Einer nach dem anderen gingen die Polizisten hinaus. Im Wohnzimmer hockten zwei Typen mit müden Gesichtern und suchten nach Fingerabdrücken. Alle raus hier, rief Juan de Dios. Lino
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