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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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brauchte man weder Geld noch einen Führerschein, man musste nur wissen, wie man Autos knackt und kurzschließt. Also blieben die Einsatzgruppen in der von Ortiz Rebolledo bestimmten Aufteilung bestehen, und mit müden Gesichtern, wie in einer Zeitschleife gefangene Soldaten, die wieder und wieder auf dieselbe Niederlage zusteuern, gingen die Beamten an die Arbeit. Noch am selben Abend hatte Juan de Dios Martínez Erkundigungen eingezogen und erfahren, dass Estefanía einen Freund oder Verehrer hatte, einen etwas verrückten Burschen von neunzehn Jahren namens Ronald Luis Luque alias Lucky Strike alias Ronnie alias Ronnie der Zauberer, dessen Polizeiakte zwei Verhaftungen wegen Autodiebstahls verzeichnete. Nach seiner Haftentlassung war Ronald Luis mit einem gewissen Felipe Escalante, den er im Gefängnis kennengelernt hatte, in eine gemeinsame Wohnung gezogen. Escalante war ein berufsmäßiger Autodieb, gegen den auch wegen Vergewaltigung Minderjähriger ermittelt, aber nie Anklage erhoben worden war. Fünf Monate wohnte Ronald Luis mit Escalante zusammen, dann zog er aus. Juan de Dios Martínez suchte Escalante noch am selben Abend auf. Von ihm erfuhr er, dass sein ehemaliger Zellengenosse nicht aus freien Stücken ausgezogen war, sondern dass er ihn hinausgeworfen hatte, weil Lucky Strike sich finanziell an nichts beteiligen wollte. Zurzeit arbeitete Escalante als Lagerarbeiter in einem Supermarkt und hatte seine kriminellen Aktivitäten gänzlich eingestellt. Ich klaue schon seit Jahren keine Autos mehr, Chef, ich schwöre bei dem hier, sagte er und küsste die zum Kreuz vereinigten Finger. Wirklich besaß er nicht mal eine alte Blechkiste und legte alle Strecken mit dem Bus oder zu Fuß zurück, was viel billiger war und außerdem ein Gefühl von Freiheit gab. Auf die Frage, ob der besagte Lucky Strike noch immer, und sei es nur gelegentlich, Autos stehle, sagte Escalante, er glaube nicht, obwohl er, bei Gott, nicht die Hand dafür ins Feuer legen könne, da der Betreffende sich auf dieser schiefen Bahn doch eher tollpatschig bewegt habe. Andere, die er befragte, schienen Escalantes Aussage zu bestätigen: Ronnie der Zauberer war ein Weichei und Faulpelz, aber kein Dieb, auch nicht gewalttätig, jedenfalls nicht grundlos gewalttätig, und die meisten, auch wenn sie nichts beschwören wollten, trauten ihm nicht zu, seine Freundin und deren Schwester zu entführen. Ronald Luis lebte augenblicklich bei seinen Eltern und hatte bislang keine Arbeit gefunden. Juan de Dios Martínez fuhr dorthin und sprach mit dem Vater, der ihm schicksalsergeben die Tür öffnete und mitteilte, dass sein Sohn wenige Stunden, nachdem man Estefanía und Herminia entführt hatte, fortgegangen sei. Der Kommissar fragte, ob er einen Blick in seine Bude werfen dürfe. Fühlen Sie sich wie zu Hause, sagte der Vater. Eine Weile lang untersuchte Juan de Dios Martínez allein das Zimmer, das Ronnie sich mit drei jüngeren Geschwistern teilte, obwohl ihm auf den ersten Blick klar war, dass er hier nichts finden würde. Dann ging er in den Innenhof, steckte sich eine Zigarette an und betrachtete die orange- und violettfarbene Abenddämmerung, die über die Geisterstadt hereinbrach. Hat er gesagt, wo er hinwollte?, fragte er. Nach Yuma, sagte der Vater. Waren Sie selbst schon mal in Yuma? Als ich jung war, oft: Ich ging rüber, arbeitete, die Migra nahm mich hops und schickte mich zurück nach Mexiko, aber ich ging wieder rüber, viele Male, sagte der Vater. Bis ich es leid war, mir hier einen Job suchte, um für meine Alte und die Kinder zu sorgen. Glauben Sie, dass es Ronnie genauso ergehen wird? Da sei Gott vor, sagte der Vater. Nach drei Tagen erfuhr Juan de Dios Martínez, dass die Einsatzgruppe zur Fahndung nach dem schwarzen Entführungsfahrzeug sich aufgelöst hatte. Als er Ortiz Rebolledo deswegen zur Rede stellte, sagte der nur: Befehl von oben. Anscheinend hatten sich die Polizisten bei einigen dicken Fischen unbeliebt gemacht, deren Söhne, die Jeunesse dorée von Santa Teresa, nahezu die gesamte Peregrino-Flotte der Stadt besaßen (ein bei der begüterten Jugend schwer angesagter Wagen, wie der Arcángel oder der Desertwind mit Faltverdeck). Die Väter sprachen mit den entsprechenden Stellen, damit die Bullen nicht länger nervten. Nach vier Tage informierte ein anonymer Anrufer die Polizei über Schüsse in einem Haus in der Calle García Herrero. Eine halbe Stunde später fuhr ein Streifenwagen vor. Trotz mehrfachen Klingelns machte

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