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Rivera saß auf einem Sofa und blätterte in einer Boxzeitschrift. Hier sind die Seile, Chef, sagte einer der Polizisten. Danke, sagte Juan de Dios, und jetzt raus bitte, nur die von der Spurensicherung bleiben da. Ein Typ, der fotografierte, nahm die Kamera herunter und zwinkerte ihm zu. Das nimmt kein Ende, was, Juan de Dios?, sagte er. Nein, tut es nicht, tut es nicht, sagte er, während er sich zu Lino Rivera aufs Sofa fallen ließ und eine Zigarette anzündete. Nimm es nicht so schwer, Alter, riet ihm der Kollege. Noch bevor die Zigarette geraucht war, rief ihn der Gerichtsmediziner ins Schlafzimmer. Die beiden sind vergewaltigt worden, mehrfach, würde ich sagen, über beide Kanäle, die in der Dusche möglicherweise sogar über drei. Die beiden wurden gefoltert. Bei der einen ist die Todesursache klar, bei der anderen nicht ganz. Morgen bekommst du einen genauen Bericht. Jetzt mach mir draußen die Straße frei, damit ich sie ins Institut bringen kann, sagte der Gerichtsmediziner. Juan de Dios ging hinaus in den Hof und teilte einem Polizisten mit, dass sie jetzt die Leichen abtransportieren würden. Auf den Gehwegen drängten sich die Schaulustigen. Es ist seltsam, dachte Juan de Dios, als der Krankenwagen davonfuhr, innerhalb weniger Sekunden hat sich alles schlagartig geändert. Als eine Stunde später Ortiz Rebolledo und Ángel Fernandez eintrafen, befragte Juan de Dios gerade die Anwohner. Einige meinten, in der 677 wohne ein Pärchen, andere sprachen von drei jungen Burschen, besser gesagt von einem Mann und zwei jungen Burschen, die nur zum Schlafen kämen, wieder andere behaupteten, der Bewohner sei ein ziemlich verschrobener Typ, der mit niemandem im Viertel spreche und manchmal tagelang nicht auftauche, als würde er außerhalb von Santa Teresa arbeiten, dann wieder verlasse er tagelang nicht das Haus, sehe bis in die Puppen fern oder höre Corridos und Tanzmusik und schlafe dann bis nach Mittag. Die, die behauptet hatten, in Nr. 677 wohne ein Pärchen, meinten, die beiden besäßen einen Kombi oder einen Kombi-ähnlichen Lieferwagen und würden meistens zusammen zur Arbeit fahren und zusammen wiederkommen. Wo sie arbeiteten? Das wüssten sie nicht genau, nur einer sagte, wahrscheinlich würden die beiden kellnern. Die, die meinten, in der Wohnung würden ein Mann und zwei junge Burschen wohnen, glaubten, der Mann fahre einen Lieferwagen, bei dem es sich auch um einen Kombi handeln könne. Die, die versichert hatten, ein alleinstehender Mann wohne in der Wohnung, vermochten sich nicht zu erinnern, ob er ein Auto besitze oder nicht, sagten jedoch, er bekomme häufig Besuch von Leuten, die Autos besaßen. Wer zum Teufel wohnt denn nun dort?, fragte Ortiz Rebolledo. Das müssen wir noch ermitteln, sagte Juan de Dios, bevor er nach Hause ging. Nachdem am nächsten Tag die beiden Mädchen obduziert worden waren, sah sich der Gerichtsmediziner in seinen Annahmen bestätigt, fügte nur hinzu, Ursache von Herminias Tod sei nicht die Kugel, die in ihrem Nacken steckte, sondern ein Herzstillstand. Das arme Kind konnte die Folter und die Quälereien nicht ertragen. Keine Chance. Die verwendete Waffe war wahrscheinlich eine Smith & Wesson Kaliber .9. Das Haus, in dem man die Leichen fand, gehörte einer alten Frau, die völlig ahnungslos war, eine alte Dame der besseren Gesellschaft von Santa Teresa, die von den Mieteinnahmen ihrer Immobilien lebte und der die meisten der umliegenden Häuser gehörten. Die Mietwohnungen verwaltete eine Maklerfirma, die einem Enkel der Frau gehörte. Den Unterlagen des Verwalters zufolge, die übrigens juristisch in Ordnung waren, war die 677 an einen gewissen Javier Ramos vermietet, der seine Miete per Überweisung bezahlte. Die Ermittlungen bei der Bank erbrachten, dass Javier Ramos einige größere Einzahlungen getätigt hatte, genug, um auf sechs Monate hinaus Miete, Strom und Wasser zu bezahlen, und niemand hatte ihn seither gesehen. Ein lustiges, aber im Hinterkopf zu behaltendes Detail entnahm Juan de Dios Martínez dem Grundbuch, dass nämlich der gesamte nächste Häuserblock hinter der Calle García Herrero Pedro Rengifo gehörte und dass sich die Häuser der Calle Tablada, die parallel zur García Herrero verlief, im Besitz eines gewissen Lorenzo Juan Hinojosa, Strohmann des Drogenhändlers Estanislao Campuzano, befanden. Auch dass sämtliche Gebäude der Straßen Hortensia und Licenciado Cabezas auf den Namen des Oberbürgermeisters von Santa Teresa oder seiner Söhne
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