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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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betrachtet aufmerksam das Dach des Waldes, der ein dunkler Bauch ist, durch den lautlose Tiere und Vögel huschen, die er nicht genau erkennen kann. Zehn Meter hinter ihm geht Hans Reiter mit Halders Koffer, der übermäßig schwer ist und der darum in regelmäßigen Abständen von einer Hand in die andere wandert. Plötzlich hören beide das Grunzen eines Wildschweins oder von etwas, das sie für ein Wildschwein halten. Vielleicht handelt es sich bloß um einen Hund. Vielleicht haben sie auch den fernen Motor eines Autos gehört, der gerade den Geist aufgibt. Die beiden letztgenannten Annahmen sind höchst unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Auf alle Fälle beschleunigen beide, ohne sich abzusprechen, ihre Schritte, und auf einmal stolpert Hans Reiter, fallt hin, und auch der Koffer fallt hin, geht auf, und sein Inhalt verteilt sich über den dunklen Weg, der den dunklen Wald durchquert. Und zwischen den Kleidern von Hugo Halder, der von dem Malheur nichts mitbekommen hat und sich immer weiter entfernt, entdeckt der junge, erschöpfte Hans Reiter Silberteller, Leuchter, Lackkästchen und vergessene Medaillons aus den zahlreichen Gemächern des Landhauses, die der Neffe des Barons sicherlich in Berlin zu verpfänden oder zu verhökern gedenkt.
    Selbstverständlich wusste Hugo Halder, dass Hans Reiter ihn entdeckt hatte, und das begünstigte eine Annäherung an den jungen Diener. Der erste Hinweis darauf erfolgte schon an dem Nachmittag, da Hans Reiter ihm den Koffer zum Bahnhof trug. Beim Abschied deponierte Halder ein kleines Trinkgeld in seiner Hand (es war das erste Mal, dass er ihm Geld gab, und auch das erste Mal, dass Hans Reiter Geld erhielt, das nicht sein karger Lohn war). Bei seinem nächsten Besuch im Landhaus schenkte Halder ihm einen Pullover. Er sagte, er sei von ihm, passe ihm aber nicht mehr, weil er etwas zugenommen habe, was ein einfacher Blick als Lüge entlarvte. Mit einem Wort: Hans Reiter war nicht länger unsichtbar und seine Anwesenheit die eine oder andere Aufmerksamkeit wert.
    Manchmal, wenn Hugo Halder in der Bibliothek seine Geschichtsbücher las oder so tat, als würde er sie lesen, ließ er Reiter rufen und verwickelte ihn in ein mit jedem Mal längeres Gespräch. Anfangs fragte er ihn nach der übrigen Dienerschaft aus. Er wollte wissen, was sie über ihn dächten, ob er ihnen mit seiner Anwesenheit zur Last fiele, ob sie ihn gut leiden könnten, ob jemand irgendeinen Groll gegen ihn hegte. Es folgte ein monologischer Teil. Halder erzählte von seinem Leben, von seiner toten Mutter, von seinem Onkel, dem Baron, von seiner einzigen Cousine, diesem unerreichbaren, leichtfertigen Mädchen, von den Versuchungen, die Berlin zu bieten hatte, eine Stadt, die er liebte, die ihm aber gleichzeitig ungezähltes und zuweilen unerträgliches Leid bereitete, vom Zustand seiner Nerven, die immer zum Zerreißen gespannt waren.
    Dann verlangte er, der junge Hans Reiter solle ihm seinerseits von sich erzählen, was er mache, was er machen wolle, wovon er träume und was die Zukunft wohl für ihn bereithalte.
    Über die Zukunft, wie nicht anders zu erwarten, hatte Halder seine eigenen Vorstellungen. Er glaubte, man werde schon bald eine Art künstlichen Magen erfinden und zum Verkauf anbieten. Diese Vorstellung war so bizarr, dass er selbst als Erster darüber lachte (es war das erste Mal, dass Hans Reiter ihn lachen sah, und Halders Lachen missfiel ihm zutiefst). Über seinen Vater, den Maler, der in Frankreich lebte, sprach er nie, erkundigte sich dagegen mit Vorliebe nach den Vätern der anderen. Die Antwort, die der junge Reiter ihm gab, amüsierte ihn. Der hatte gesagt, er wisse nichts über seinen Vater.
    »Das ist wahr«, sagte Halder, »über den eigenen Vater weiß man nie etwas.«
    Ein Vater, sagte er, ist ein in schwärzestes Dunkel getauchter Korridor, in dem wir blind vorwärts stolpernd nach dem Ausgang suchen. Dennoch bestand er darauf, der junge Diener solle ihm wenigstens sagen, wie sein Vater aussehe, aber der junge Hans Reiter antwortete, er wisse es wirklich nicht. Daraufhin fragte Halder, ob er denn nicht bei seinem Vater lebe. Schon mein ganzes Leben lang, sagte Hans Reiter.
    »Und wie sieht er aus? Bist du nicht in der Lage, ihn zu beschreiben?«
    »Bin ich nicht, weil ich es nicht weiß«, erwiderte Hans Reiter. Einige Sekunden lang verharrten beide schweigend, der eine sah auf seine Fingernägel, der andere zur Decke der Bibliothek. Kaum zu glauben, aber Halder glaubte

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