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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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Reihen der Arbeiterheere, die im Reich Autobahnen bauten. Jeden Monat schickte er fast seinen gesamten Lohn nach Hause, denn seine Bedürfnisse waren bescheiden, auch wenn er an freien Tagen mit den Kameraden in die Kneipen der nächstgelegenen Dörfer zog, wo sie Bier tranken, bis sie unterm Tisch lagen. Zweifellos war er derjenige unter den jungen Hilfsarbeitern, der am meisten vertrug, und ein paar Mal hatte er an einem spontan organisierten Kampftrinken teilgenommen, das erweisen sollte, wer am schnellsten am meisten trinken konnte. Aber er fand keinen Gefallen am Trinken, zumindest nicht mehr als am Essen, und an dem Tag, als seine Brigade nahe Berlin arbeitete, meldete er sich krank und machte sich aus dem Staub.
    Er hatte keine Mühe, in der großen Stadt Halders Adresse ausfindig zu machen, und stand eines Tages hilfesuchend vor seiner Tür. Halder besorgte ihm eine Anstellung in einem Schreibwarengeschäft. Unterkunft fand er in einem Arbeiterwohnheim, wo man ihm ein Bett vermietete. Das Zimmer teilte er sich mit einem Mann von Mitte vierzig, der als Nachtwächter in einer Fabrik arbeitete. Der Mann hieß Füchler und litt an einer Krankheit wahrscheinlich nervösen Ursprungs, wie er zugab, die sich in manchen Nächten als Rheuma, in anderen als Herzleiden oder in plötzlichen Asthmaanfallen äußerte.
    Füchler und er trafen sich selten, da der eine nachts, der andere tagsüber arbeitete, aber wenn sie sich sahen, kamen sie prächtig miteinander aus. Füchler war, wie er ihm anvertraute, vor langer Zeit verheiratet gewesen und hatte einen Sohn gehabt. Dieser sei im Alter von fünf Jahren erkrankt und kurz darauf gestorben. Füchler konnte den Tod des Jungen nie verwinden, und nachdem er drei Monate eingesperrt im Keller seines Hauses getrauert hatte, warf er ein paar Sachen in einen Rucksack und verschwand, ohne jemandem ein Wort zu sagen. Eine Zeitlang trieb er sich auf Deutschlands Straßen herum, lebte von Almosen oder dem, was der Zufall ihm in die Hände spielte. Nach Jahren landete er in Berlin, wo ein Freund ihn auf der Straße wiedererkannte und ihm eine Stelle anbot. Dieser Freund, mittlerweile verstorben, arbeitete als Personalleiter in der Fabrik, in der Füchler bis heute seinen Dienst als Nachtwächter versah. Die Fabrik war nicht besonders groß und stellte lange Zeit Jagdwaffen her, hatte zuletzt aber umgestellt und produzierte nun Gewehre.
    Als Hans Reiter eines Abends von der Arbeit nach Hause kam, traf er den Nachtwächter Füchler im Bett an. Die Zimmerwirtin hatte ihm einen Teller Suppe heraufgebracht. Dem Lehrling aus dem Schreibwarenladen wurde plötzlich klar, dass sein Zimmergenosse im Sterben lag.
    Gesunde Menschen scheuen den Umgang mit kranken Menschen. Diese Regel trifft auf fast alle Menschen zu. Hans Reiter bildete eine Ausnahme. Er fürchtete sich weder vor Gesunden noch vor Kranken. Er fühlte sich nicht abgestoßen. Er war hilfsbereit und hielt den Begriff, den so unscharfen, so dehnbaren, so strapazierten Begriff der Freundschaft in hohen Ehren. Kranke Menschen sind übrigens interessanter als gesunde. Die Worte der Kranken, auch derer, die nur noch stammeln können, sind bedeutsamer als die Worte der Gesunden. Übrigens ist jeder Gesunde ein künftiger Kranker. Der Zeitbegriff, ach, der Zeitbegriff der Kranken, ein in einer Höhle unter der Wüste verborgener Schatz! Übrigens beißen die Kranken wirklich, während die Gesunden nur so tun, als würden sie beißen, während sie in Wirklichkeit Luft kauen. Übrigens, übrigens, übrigens.
    Bevor er starb, schlug Füchler Hans vor, er könne doch, wenn er wolle, seine Stelle übernehmen. Er fragte, wie viel er im Schreibwarenladen verdiene. Hans sagte es ihm. Ein Hungerlohn. Er schrieb ihm eine Empfehlung für den neuen Personalleiter, worin er sich für die Anständigkeit des jungen Reiter verbürgte, den er, wie er sagte, schon ein Leben lang kannte. Hans überlegte den ganzen Tag, während er Kisten mit Bleistiften und Kisten mit Radiergummis und Kisten mit Notizbüchern auspackte und den Bürgersteig vor dem Schreibwarenladen fegte. Als er nach Hause kam, sagte er Füchler, er fände die Idee gut, er würde den Arbeitsplatz wechseln. Am selben Abend meldete er sich in der Gewehrfabrik, die am Stadtrand lag, und nach einem kurzen Gespräch mit dem Personalleiter einigten sie sich auf eine zweiwöchige Probezeit. Kurz darauf starb Füchler. Da er niemanden hatte, dem man seine Habseligkeiten übergeben konnte, behielt Hans

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