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von ein Meter neunzig dort unten ganz sicher für seine Kameraden zum Alptraum werden musste.
Jedenfalls wurde Hans trotz seiner echten oder eingebildeten Beziehungen auf schmählichste Weise von der deutschen Marine abgewiesen (spaßeshalber empfahl man ihm eine Laufbahn als Panzerfahrer) und musste mit seiner ersten Bestimmung, der Infanterie, vorliebnehmen.
Eine Woche vor seiner Abreise ins Ausbildungslager gaben Halder und Nisa für ihn ein Abschiedsessen, das seinen Abschluss in einem Bordell fand, wo sie ihn baten, doch ihrer gemeinsamen Freundschaft zu Ehren seiner Jungfräulichkeit zu entsagen. Die Hure, an die er geriet (ausgewählt von Halder, wahrscheinlich Freundin von Halder, wahrscheinlich auch geprellte Teilhaberin an einem von Halders vielfältigen Geschäften), war eine bayrische Bäuerin, sehr sanft und still, doch wenn sie den Mund aufmachte, was sie wohl aus Sparsamkeit nicht oft tat, erwies sie sich als eine in jeder, auch sexueller Hinsicht praktisch veranlagte Frau, die sogar Züge von Geiz erkennen ließ, was Hans zutiefst abstieß. Natürlich passierte in dieser Nacht nichts, obwohl er vor seinen Freunden das Gegenteil behauptete, aber am nächsten Tag besuchte er die Hure, die Anita hieß, erneut. Diesmal verlor er seine Jungfräulichkeit, und es folgten noch zwei weitere Besuche, genug, um Anita zu bewegen, sich über ihr Leben auszulassen und über die Philosophie, die ihr Leben regierte.
Als die Stunde kam, da er aufbrechen musste, tat er es allein. Er fand es merkwürdig, dass niemand ihn zum Bahnhof begleitete. Von Anita hatte er sich am Abend zuvor verabschiedet. Von Halder und Nisa hatte er seit dem Besuch im Bordell nichts mehr gehört, als wären beide Freunde fest davon ausgegangen, dass er tags darauf fahren würde, was nicht stimmte. Die einzige Person, von der er sich am Tag seiner Abreise verabschiedete, war seine Hauswirtin, die ihm sagte, es sei eine Ehre, dem Vaterland zu dienen. In seinem neuen Soldatenranzen befanden sich nur etwas Kleidung und das Buch Tier- und Pflanzenarten an Europas Küsten.
Im September begann der Krieg. Reiters Division rückte zur Grenze vor und überschritt sie, nachdem das zuvor die Panzerdivisionen und die Divisionen der motorisierten Infanterie getan hatten, die ihnen den Weg bahnten. In Eilmärschen drangen sie auf polnisches Gebiet vor, ohne zu kämpfen und ohne größere Vorsichtsmaßnahmen: Die drei Regimenter rückten fast gemeinsam vor, in einer allgemeinen Volksfeststimmung, als zögen die Männer zu einer religiösen Pilgerstätte und nicht in einen Krieg, in dem einige von ihnen unausweichlich den Tod finden würden.
Sie passierten mehrere Dörfer, ohne sie zu plündern, in tadelloser, aber keineswegs martialischer Haltung, lächelten den Kindern und jungen Frauen zu und begegneten von Zeit zu Zeit Soldaten auf Motorrädern, die mal in östlicher, mal in westlicher Richtung die Straße entlangflogen und Befehle für die Division oder Befehle für den Generalstab des Korps beförderten. Die Artillerie fiel hinter ihnen zurück. Manchmal, wenn sie einen Höhenzug erreichten, schauten sie nach Osten, wo sie die Front vermuteten, und sahen nichts, nur eine verschlafene Landschaft im letzten Glanz des Sommers. Dagegen erkannten sie im Westen die Staubwolken der Artillerieeinheiten von Regiment und Division, die sich mühten, sie einzuholen.
Am dritten Tag schwenkte das Regiment auf einen Feldweg ein und stand kurz vor Einbruch der Dunkelheit an einem Fluss. Auf der gegenüberliegenden Seite erhob sich ein Wald aus Kiefern und Pappeln, und hinter dem Wald, hieß es, läge ein Dorf, in dem sich eine polnische Einheit verschanzt hätte. Sie machten die Maschinengewehre und Mörser gefechtsklar und schossen Leuchtraketen ab, aber es kam keine Antwort. Zwei Sturmkompanien überquerten nach Mitternacht den Fluss. Im Wald hörten Hans und seine Kameraden einen Uhu rufen. Als sie auf der anderen Seite herauskamen, entdeckten sie wie einen in die Dunkelheit eingelassenen oder eingekeilten schwarzen Klumpen das Dorf. Die beiden Kompanien teilten sich in mehrere Gruppen auf und rückten vor. Fünfzig Meter vom ersten Haus entfernt gab der Hauptmann das Signal, und alle liefen auf das Dorf zu, und manch einer schien sogar überrascht, als sich herausstellte, dass es verlassen war. Am nächsten Tag setzte das Regiment seinen Vormarsch nach Osten fort, auf drei unterschiedlichen Wegen parallel zur Hauptstraße, der das Gros der Division
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