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paar freundliche Worte mit ihnen wechselte und sie kurz darauf verließ. Später sagte er gegenüber der Gastgeberin, Halder und den Japaner fände er sympathisch, aber Halders junger Freund sei ganz ohne Zweifel eine menschliche Zeitbombe: Ein ungeschliffener, starker, irrationaler, unlogischer Verstand, der in jedem Moment explodieren könne. Was nicht stimmte.
Gewöhnlich endeten übrigens die Abende bei Grete von Joachimsthaler, nachdem zuvor die Musiker gegangen waren, im Bett oder in der Badewanne, einer Badewanne, wie es sie in Berlin selten gab, zweieinhalb Meter lang und anderthalb Meter breit, schwarz emailliert und mit Löwenfüßen, in der Halder und später Nisa die Gastgeberin massierten, endlos, von den Schläfen bis zu den Zehen, beide vollständig angezogen, manchmal sogar (auf Gretes ausdrücklichen Wunsch) im Mantel, während sie selbst sich wie eine Sirene präsentierte, mal auf dem Rücken, mal auf dem Bauch, sogar unter Wasser, mit nichts als Schaum, um ihre Nacktheit zu verbergen.
Während dieser amourösen Nachtveranstaltungen stand Hans in der Küche, machte sich einen Imbiss, goss sich ein Bier ein und schlenderte dann mit dem Glas in der einen und dem Essen in der anderen Hand durch die breiten Flure der Wohnung oder trat an die großen Wohnzimmerfenster und schaute in die Morgendämmerung, die wie eine Woge über die Stadt hinwegging und sie alle verschlang.
Manchmal fühlte Hans sich fiebrig und glaubte, dass er am ganzen Körper glühte, komme vom Bedürfnis nach Sex, aber er irrte sich. Manchmal riss Hans die Fenster auf, damit sich der Rauch aus dem Wohnzimmer verzog, löschte die Lichter und setzte sich, eingewickelt in seinen Mantel, in einen Sessel. Dann spürte er die Kälte und wie müde er war und schloss die Augen. Eine Stunde später, es war schon heller Tag, wurde er von Halder und Nisa geweckt, die ihn schüttelten und sagten, es sei Zeit, zu gehen.
Frau von Joachimsthaler zeigte sich zu dieser Stunde nie. Nur Halder und Nisa. Halder immer mit einem Packen, den er unter dem Mantel zu verbergen suchte. Auf der Straße bemerkte er, noch ganz verschlafen, dass die Hosenbeine seiner Freunde feucht waren, auch die Ärmel ihrer Anzüge, und dass von den Hosenbeinen und Ärmeln bei der Berührung mit der kalten Luft ein warmer Dampf aufstieg, ein Dampf, nur wenig dichter als der, der aus den Mündern von Nisa und Halder stieg, die sich zu dieser morgendlichen Stunde nicht in einem Taxi, sondern zu Fuß zu einem herzhaften Frühstück ins nächstgelegene Café begaben, und aus seinem eigenen.
1939 wurde Hans Reiter zu den Fahnen gerufen. Nach einigen Monaten Grundausbildung schickte man ihn zum 310. Infanterieregiment, das 30 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt stationiert war. Das Regiment 310 gehörte zusammen mit dem Regiment 311 und dem Regiment 312 zur 79. Infanterie-Division unter General Krüger, die ihrerseits dem X. Armeekorps unter dem Kommando von General von Bohle angehörte, eines der führenden Philatelisten des Reichs. Das Regiment 310 wurde von Oberst von Berenberg befehligt und umfasste drei Bataillone. Der Rekrut Hans Reiter wurde in das dritte Bataillon gesteckt, zunächst als Hilfsschütze, später als Mitglied einer Sturmkompanie.
Der für diese Bestimmung verantwortliche Kompaniechef, ein Hauptmann und Schöngeist namens Paul Gercke, hielt Reiters Körpergröße für geeignet, Respekt und sogar Furcht einzuflößen, zum Beispiel während eines Manövers oder bei einer Parade der Sturmkompanien, er wusste aber auch, dass ihm seine Größe, der er diesen Posten verdankte, in der echten, nicht gespielten Kampfhandlung langfristig zum Verhängnis werden musste, denn in der Praxis war der am besten für den Angriff geeignete Soldat klein, dünn wie Spargel und flink wie ein Eichhörnchen. Bevor er als Infanterist im Regiment 310 der 79. Division landete, hatte sich Hans Reiter, als man ihn vor die Wahl stellte, selbstverständlich für den Dienst in der U-Boot-Flotte beworben. Dieses Gesuch, für dessen Unterstützung Halder, zumindest hatte er das behauptet, alle seine Freunde beim Militär und in der Verwaltung, von denen Hans vermutete, dass sie mehrheitlich in Halders Phantasie existierten, mobilisiert hatte, erntete bei den Seeleuten, die über die Heuerlisten der deutschen Marine wachten, lautes Gelächter, besonders bei denen, die die Lebensbedingungen auf U-Booten und die tatsächlichen Größenverhältnisse kannten und wussten, dass ein Kerl
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