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folgte.
Reiters Bataillon stieß auf ein polnisches Kommando, das eine Brücke besetzt hielt. Sie forderten sie auf, sich zu ergeben. Die Polen lehnten ab und eröffneten das Feuer. Einer von Reiters Kameraden erschien nach dem Gefecht, das kaum zehn Minuten dauerte, mit einer gebrochenen, heftig blutenden Nase. Nach Überqueren der Brücke, erzählte er, sei er mit etwa zehn anderen Soldaten vorgerückt, bis sie den Rand eines Waldes erreicht hätten. In dem Moment sei ein Pole von einem Baum gesprungen und mit Fäusten auf ihn losgegangen. Natürlich wusste er nicht, wie er sich verhalten sollte, denn schlimmstenfalls oder bestenfalls, das heißt, im äußersten Fall, hatte er sich vorgestellt, mit einem Messer oder einem Bajonett, wenn nicht gar mit einer Schusswaffe angegriffen zu werden, aber doch nicht mit blanker Faust. Als die Schläge des Polen sein Gesicht trafen, stieg natürlich Wut in ihm auf, aber größer als die Wut war seine Überraschung, dieser Eindruck, der ihn unfähig machte, sich zu wehren, sei es mit Fäusten, wie sein Angreifer, oder mit dem Gewehr. Er empfing einfach einen Schlag in den Magen, der ihm nicht weh tat, und einen Haken an die Nase, bei dem ihm fast schwarz vor Augen wurde, und sah im Fallen den Polen oder den Schatten, der der Pole in diesem Moment wurde, wie er, statt sich seiner Waffe zu bemächtigen, was ein Klügerer an seiner Stelle getan hätte, zurück in den Wald zu flüchten versuchte, und sah den Schatten eines seiner Kameraden, der auf ihn schoss, dann weitere Schüsse und den Schatten des Polen, der von Kugeln durchsiebt zu Boden ging. Als Reiter und das restliche Bataillon die Brücke überquerten, lagen am Straßenrand keine Leichen von Feinden, und das Bataillon hatte lediglich zwei Leichtverletzte zu beklagen.
Es war in jenen Tagen, als sie unter der Sonne oder unter den ersten grauen Wolken, riesigen, unermesslichen Wolken, die einen denkwürdigen Herbst ankündigten, dahinmarschierten und sein Bataillon ein Dorf nach dem anderen hinter sich ließ, dass Reiter dachte, unter seiner Wehrmachtsuniform trüge er ein Narrenkleid oder einen Narrenpyjama.
Eines Nachmittags traf sein Bataillon auf eine Gruppe von Stabsoffizieren. Von welchem Generalstab? Er wusste es nicht, aber es waren Stabsoffiziere. Während sie die Straße entlangmarschierten, standen die Offiziere auf einem nahen Hügel zusammen und schauten zum Himmel, über den gerade eine Fliegerschwadron in Richtung Osten flog, Stukas vielleicht oder Abfangjäger, und einige der Offiziere zeigten auf sie mit dem Finger, andere mit der ganzen Hand, als grüßten sie die Flugzeuge mit Heil Hitler, nur ein Offizier betrachtete, etwas abseits stehend und in Gedanken versunken, die Speisen, die eine Ordonnanz in diesem Moment sorgfältig auf einem Feldtischchen anrichtete, Lebensmittel, die er aus einer schwarzen Kiste von beträchtlicher Größe nahm, als handelte es sich um einen dieser Spezialbehälter, in denen pharmazeutische Unternehmen gefährliche oder noch nicht ausreichend getestete Medikamente aufbewahren, oder noch schlimmer, um einen Behälter aus einem Forschungslabor, in den deutsche Wissenschaftler mit Schutzhandschuhen etwas hineinlegten, das die ganze Welt vernichten konnte, auch Deutschland.
Ein paar Schritte neben der Ordonnanz und dem Offizier, der zusah, wie der Mann die Speisen auf dem Tisch verteilte, stand mit dem Rücken zu allen anderen ein weiterer Offizier, der in einer Luftwaffenuniform steckte und die Flugzeuge am Himmel keines Blickes würdigte, in der einen Hand eine lange Zigarette, in der anderen ein Buch - eine leichte Übung, die den Luftwaffenoffizier aber unwahrscheinliche Mühe zu kosten schien, da der Wind, der über dem Hügel wehte, auf dem alle standen, ständig die Seiten umschlug und ihn am Lesen hinderte, was den Offizier veranlasste, die Hand mit der langen Zigarette zu Hilfe zu nehmen, um die vom Wind verwehten Seiten fest (oder still oder ruhig) zu halten, was die Situation nur verschlimmerte, da die Zigarette oder die Glut der Zigarette die unausweichliche Neigung zeigte, die Buchseiten zu versengen, oder der Wind die Zigarettenasche über die Seiten verteilte, was den Offizier enorm störte, der daraufhin den Kopf über das Buch beugte und blies, nur ganz vorsichtig, da er mit dem Gesicht zum Wind stand und beim Fortblasen der Asche Gefahr lief, sie in die Augen zu bekommen.
Neben dem Luftwaffenoffizier saßen auf Klappstühlen zwei alte Soldaten. Der eine
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