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2666

2666

Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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neben den beiden herlief und unermüdlich einen Haufen meist widersprüchlicher Informationen vom Stapel ließ und selber kommentierte. Hinter Popescu folgte der SS-Offizier, und etwas weiter zurück Reichsschriftsteller Hoensch und die beiden Stabsoffiziere. Den Schluss des Zuges bildete Reiter, den die Baroness unbedingt dabeihaben wollte, mit der Begründung, er habe, bevor er in den Dienst des Reichs getreten sei, ihrer Familie gedient, eine Bitte, der von Berenberg unverzüglich entsprach.
    Bald gelangten sie zu einer in den Fels gehauenen Krypta. Ein eisernes Türgitter mit einem verwitterten Wappen versperrte den Zugang. Der SS-Offizier, der sich wie der Herr des Anwesens aufführte, zog einen Schlüssel aus der Tasche und schloss auf. Dann zündete er eine Laterne an, und alle betraten nacheinander die Krypta, außer Reiter, dem einer der Offiziere ein Zeichen machte, er solle an der Tür Wache halten.
    Reiter blieb also draußen stehen, betrachtete die steinernen Stufen, die in die Dunkelheit hinabführten, dann den wüsten Garten, durch den sie gekommen waren, und die Türme des Schlosses, die von hier aussahen wie zwei graue Kerzen auf einem verwahrlosten Altar. Er zog eine Zigarette aus seiner Uniformjacke, zündete sie an und schaute in den grauen Himmel, auf die fernen Täler und dachte auch an das Gesicht der Baroness von Zumpe, während die Asche seiner Zigarette zu Boden rieselte und er, an den Fels gelehnt, nach und nach einnickte. Daraufhin träumte er vom Inneren der Krypta. Die Stufen führten in ein Amphitheater, das von der Laterne des SS-Offiziers nur teilweise erhellt wurde. Er träumte davon, dass die Besucher lachten. Alle, außer einem der Stabsoffiziere, der unaufhörlich weinend einen Platz suchte, um sich zu verstecken. Er träumte, dass Hoensch ein Gedicht von Wolfram von Eschenbach rezitierte und dann Blut spuckte. Er träumte, dass sich alle gemeinsam daranmachten, die Baroness von Zumpe zu verspeisen.
    Er schreckte aus dem Schlaf und wäre fast in die Krypta hinuntergerannt, um sich mit eigenen Augen zu überzeugen, dass alles wirklich nur geträumt war.
    Als die Gäste wieder an die Oberfläche kamen, hätte jeder, auch der begriffsstutzigste Beobachter, sehen können, dass sie in zwei Gruppen zerfielen; die einen tauchten blass um die Nase wieder auf, als hätten sie dort unten etwas Ungeheuerliches gesehen, die anderen mit einem Lächeln um die Lippen, als hätten sie gerade wieder etwas Neues über die Einfältigkeit der Menschen gelernt.
    Am Abend, während des Essens, sprachen sie über die Krypta, aber auch über andere Dinge. Sie sprachen über den Tod. Hoensch sagte, der Tod an sich sei nur eine ständig entstehende Illusion ohne Entsprechung in der Wirklichkeit. Der SS-Offizier sagte, der Tod sei eine Notwendigkeit: Niemand, der noch bei Verstand sei, würde eine Welt voller Schildkröten oder Giraffen akzeptieren. Der Tod, schloss er, sei das Regulativ. Der junge Gelehrte Popescu sagte, die östliche Weisheit sehe im Tod nur einen Übergang. Unklar sei jedoch, sagte er, zumindest sei ihm unklar geblieben, an welchen Ort, in welche Wirklichkeit dieser Übergang führe.
    »Die Frage ist nur, wohin«, sagte er. »Die Antwort ist«, antwortete er sich selbst, »dorthin, wohin meine Verdienste mich führen.«
    General Entrescu meinte, darauf komme es nicht an, entscheidend sei, nicht stehen zu bleiben, sei die Dynamik der Bewegung, das, was die Menschen mit allem, was lebe, einschließlich der Küchenschaben, einschließlich der großen Sterne, auf eine Stufe stelle. Baroness von Zumpe sagte, und war vermutlich die Einzige, die sich freimütig äußerte, der Tod sei etwas Lästiges. General von Berenberg zog es vor, keine Meinung zu äußern, ebenso die beiden Stabsoffiziere.
    Anschließend sprachen sie über den Mord. Der SS-Offizier sagte, das Wort Mord sei ein zweischneidiges, zweideutiges, ungenaues, vages, unbestimmtes Wort und eigne sich bestens für Kalauer. Hoensch pflichtete ihm bei. General von Berenberg sagte, er überlasse die Gesetze lieber den Richtern und den Gerichtshöfen, und wenn ein Richter sage, eine Tat sei Mord, dann sei es Mord, und wenn ein Richter und ein Gericht urteilten, dass es kein Mord sei, dann sei es eben keiner, basta. Die beiden Stabsoffiziere waren derselben Meinung wie ihr Chef.
    General Entrescu gestand, die Helden seiner Kindheit seien allesamt Mörder und Verbrecher gewesen und er habe großen Respekt vor ihnen gehabt. Der junge

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