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auf zwei Lastwagen verteilt, und los ging es in Richtung Berge.
Die Soldaten hatten kaum auf den Holzbänken im hinteren Teil der Lastwagen Platz genommen, da waren sie schon wieder eingeschlafen. Nicht so Reiter. Er saß direkt am Ausstieg, hatte die Plane, die das Verdeck bildete, beiseitegeschoben und betrachtete die Landschaft. Seine tagblinden Augen, die trotz der Tropfen, die er jeden Morgen nahm, ständig gerötet waren, erspähten eine Reihe kleiner dunkler Täler zwischen zwei Gebirgsketten. Von Zeit zu Zeit fuhren die Lastwagen an riesigen Pinienwäldern entlang, die gefährlich nah an die Straße heranreichten. In der Ferne entdeckte er auf einem niedrigeren Berg die Silhouette einer Burg oder Festung. Als der Tag anbrach, stellte er fest, dass es nur ein Wald war. Er sah Steilhänge oder Felsformationen, die an untergehende Schiffe erinnerten, den Bug hoch in der Luft ragend wie ein scheuendes, fast senkrecht stehendes Pferd. Er sah dunkle Pfade in den Bergen, die nirgendwohin führten, über denen aber in großer Höhe schwarze Vögel kreisten, Aasvögel ohne Zweifel.
Um die Vormittagszeit erreichten sie ein Schloss. In dem Schloss trafen sie nur drei Rumänen und einen SS-Offizier in der Funktion eines Gutsverwalters an, der sie unverzüglich zur Arbeit einteilte, nachdem er ihnen als Frühstück ein Glas kalter Milch gereicht hatte und dazu einen Kanten Brot, den einige der Soldaten angewidert beiseiteschoben. Außer vier Männern, die Wache schoben, darunter auch Reiter, den der SS-Offizier wenig geeignet fand, sich an den Arbeiten zur Herrichtung des Schlosses zu beteiligen, ließen alle ihre Waffen in der Küche und begannen zu fegen, zu waschen, Staub von den Lampen zu wischen und in den Schlafzimmern frische Wäsche aufzuziehen.
Gegen drei Uhr nachmittags trafen die Gäste ein. Einer von ihnen war Divisionskommandant General von Berenberg. Mit ihm erschienen der Reichsschriftsteller Hermann Hoensch und zwei Offiziere vom Generalstab der 79. Division. Im anderen Wagen kam der rumänische General Eugenio Entrescu an, damals fünfunddreißig und der aufstrebende Stern in der Armee seines Landes, begleitet von dem erst dreiundzwanzigjährigen Gelehrten Pablo Popescu und der Baroness von Zumpe, deren Bekanntschaft die Rumänen erst am Abend zuvor bei einem Empfang in der deutschen Botschaft gemacht hatten und die ursprünglich im Wagen von General von Berenberg mitfahren sollte, aber unter dem Eindruck von Entrescus Galanterien und Popescus amüsantem und spaßhaftem Charakter dem Angebot der beiden nachgegeben hatte, die zu Recht argumentieren konnten, dass die Baroness im Wagen der Rumänen mehr Platz haben würde als in dem volleren Wagen der Deutschen.
Reiters Erstaunen, als er Baroness von Zumpe aussteigen sah, war kolossal. Noch merkwürdiger jedoch war, dass die junge Baroness diesmal vor ihm stehen blieb und ihn ehrlich interessiert fragte, ob er sie nicht kenne, denn, sagte die Baroness, sein Gesicht komme ihr bekannt vor. Reiter (mit unverändert strammer Haltung und nach wie vor einfältigem Gesichtsausdruck, den Blick kriegerisch in die Ferne oder vielleicht auch ins Nirgendwo gerichtet) erwiderte, dass er sie selbstverständlich kenne, da er von früher Kindheit an im Haus ihres Vaters, des Barons, gedient habe, genau wie seine Mutter, Frau Reiter, an die sich die Frau Baroness vielleicht erinnere.
»Richtig«, sagte die Baroness und lachte, »du warst der lange Schlaks, der überall herumstrich.«
»Der war ich«, sagte Reiter.
»Der Vertraute meines Vetters«, sagte die Baroness.
»Der Freund Ihres Vetters«, sagte Reiter, »des Herrn Hugo Halder.«
»Und was machst du hier auf Schloss Dracula?«, fragte die Baroness.
»Ich diene dem Reich«, sagte Reiter, und zum ersten Mal sah er sie an.
Sie kam ihm wunderschön vor, viel schöner als damals im Landhaus ihres Vaters. Wenige Schritte von ihnen entfernt warteten General Entrescu, der ununterbrochen grinsen musste, und der junge Gelehrte Popescu, der mehrfach ausrief: Phantastisch, phantastisch, wieder einmal hat das Schwert des Schicksals der Hydra des Zufalls den Kopf abgehauen.
Die Gäste genehmigten sich einen leichten Imbiss und erkundeten dann die Umgebung des Schlosses. General von Berenberg, anfangs begeistert mit von der Partie, wurde bald müde und zog sich zurück, weshalb General Entrescu, der die Baroness am Arm führte, die Leitung des Spaziergangs übernahm, zusammen mit dem jungen Gelehrten Popescu, der links
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