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Gelehrte Popescu erinnerte daran, dass Mörder und Helden sich in ihrer Einsamkeit und ihrem zumindest anfänglichen Unverstandensein ähnelten.
Baroness von Zumpe ihrerseits sagte, sie sei natürlich in ihrem ganzen Leben noch keinem Mörder begegnet, einem Verbrecher aber schon, wenn man ein abscheuliches Individuum so nennen konnte, das von einer geheimnisvollen Aura umgeben war, die Frauen anzog, denn tatsächlich habe sich eine Tante von ihr, die einzige Schwester ihres Vaters, des Barons von Zumpe, in einen verliebt, was ihren Vater fast zum Wahnsinn getrieben und veranlasst habe, den Herzensbrecher seiner Schwester zum Duell zu fordern, welcher zum allgemeinen Erstaunen die Herausforderung annahm, die im Wald des Herbstlichen Herzens in der Umgebung von Potsdam ausgetragen wurde, ein Ort, den Baroness von Zumpe viele Jahre später besuchte, um den aus großen grauen Bäumen bestehenden Wald und die Lichtung, ein abschüssiges Gelände von rund fünfzig Quadratmetern, mit eigenen Augen zu sehen, wo ihr Vater sich mit jenem unerwarteten Mann geschlagen hatte, der seinerzeit um sieben Uhr morgens mit zwei Bettlern als Sekundanten dort aufgekreuzt war, beide natürlich sturzbetrunken, während als Sekundanten ihres Vaters Baron X und Graf Y sich die Ehre gegeben hatten, mit anderen Worten eine unerhörte Schande, weshalb Baron X kurz davor war, die Sekundanten des Galans der Schwester von Baron von Zumpe eigenhändig zu erschießen, welcher, der Galan, übrigens Conrad Halder hieß, wie sich General von Berenberg bestimmt erinnere (dieser nickte, obwohl er nicht wusste, wovon Baroness von Zumpe sprach), die Sache erregte damals großes Aufsehen, noch vor meiner Geburt natürlich, Baron von Zumpe war zu jener Zeit noch Junggeselle, kurz, in jenem Wäldchen mit dem romantischen Namen wurde das Duell ausgetragen, mit Schusswaffen, versteht sich, und ich weiß zwar nicht, nach welchen Regeln sie vorgingen, vermute aber, dass beide gleichzeitig anlegten und abdrückten: Die Kugel des Barons, meines Vaters, ging wenige Zentimeter an der linken Schulter von Halder vorbei, während dessen Schuss von niemandem gehört wurde, sein Ziel aber offenbar ebenfalls verfehlt hatte, da für sie feststand, dass mein Vater ein besserer Schütze war als er und dass, wenn jemand zu Boden ging, dieser Jemand Halder sein musste und nicht mein Vater, aber dann, welche Überraschung, sahen alle, einschließlich meines Vaters, dass Halder keineswegs den Arm senkte, sondern immer noch zielte, und da begriffen sie, dass er gar nicht geschossen hatte und das Duell also noch nicht beendet war, und dann geschah das Allerseltsamste, zumal wenn man bedenkt, welcher Ruf dem Verehrer der Schwester meines Vaters vorauseilte, der nun, statt auf ihn zu schießen, auf eine seiner eigenen Extremitäten anlegte, ich glaube, auf seinen linken Arm, und aus nächster Nähe abdrückte.
Was weiter geschah, weiß ich nicht. Ich vermute, man brachte Halder zu einem Arzt. Vielleicht suchte auch Halder selbst, von seinen Bettler-Sekundanten begleitet, einen Arzt auf, der seine Wunde versorgte, derweil mein Vater reglos im Wald des Herbstlichen Herzens zurückblieb, kochend vor Wut oder aschfahl wegen des gerade Erlebten, während seine Sekundanten kamen und ihn trösteten, ihm sagten, dass man bei solchen Leuten auf jede Lächerlichkeit gefasst sein müsse.
Kurz darauf ging Halder mit der Schwester meines Vaters auf und davon. Eine Zeitlang lebten sie in Paris, später in Südfrankreich, wo Halder, der Maler war, obwohl ich nie ein Bild von ihm gesehen habe, längere Aufenthalte zu nehmen pflegte. Soweit ich weiß, heirateten sie dann und bezogen eine Wohnung in Berlin. Das Leben meinte es nicht gut mit ihnen, und die Schwester meines Vaters erkrankte schwer. Am Tag ihres Todes erhielt mein Vater ein Telegramm, und am selben Abend sah er Halder zum zweiten Mal. Er traf ihn betrunken und spärlich bekleidet an, während sein Sohn, mein Vetter, damals drei Jahre alt, splitternackt und voller Farbe durch die Wohnung tollte, die Halder zugleich als Atelier diente.
An dem Abend sprachen sie zum ersten Mal miteinander, und möglicherweise kam es zu einer Einigung. Mein Vater kümmerte sich um seinen Neffen, und Halder verschwand für immer aus Berlin. Von Zeit zu Zeit trafen Nachrichten von ihm ein, denen jedes Mal irgendein kleiner Skandal vorausging. Seine Berliner Gemälde blieben in meines Vaters Gewahrsam, der nicht die Kraft fand, sie zu verbrennen. Einmal
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