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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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Beamter, dessen Kopf aus Fisch und Geflügel und dessen Leib aus Büchern und Akten bestand) empfand er als Schreckbild. Aber die Jahreszeitenbilder waren Freude pur. Alles in allem enthalten, schreibt Ansky. Als hätte Arcimboldo nur eine einzige Lektion gelernt, aber als wäre diese von größter Bedeutung.
    Hier straft Ansky sein angeblich fehlendes Interesse am Leben des Malers Lügen und schreibt, Leonardo da Vinci habe, als er 1516 Mailand verließ, seinem Schüler Bernardino Luini seine Skizzenbücher vermacht, die der junge Arcimboldo, befreundet mit Luinis Sohn, später einmal durchgeblättert und studiert haben könnte. Wenn ich traurig oder niedergeschlagen bin, schreibt Ansky, schließe ich die Augen und sehe Arcimboldos Gemälde vor mir, und Traurigkeit und Niedergeschlagenheit sind wie weggeblasen, als würde ein Wind, der stärker ist als sie, ein Wind wie Mentholhauch, plötzlich durch die Straßen von Moskau fegen.
    Dann folgen, ungeordnet, die Notizen zu seiner Flucht. Es gibt ein paar Freunde, die sich eine ganze Nacht lang über die Vor- und Nachteile des Selbstmords unterhalten. Zwei Männer und eine Frau, die sich in den Pausen oder toten Momenten, die in der Unterhaltung über Selbstmord entstehen, auch über das Sexualleben eines bekannten und verschwundenen (in Wirklichkeit ermordeten) Dichters und über dessen Frau unterhalten. Ein in Elend und ewige Entwürdigung gestoßener akmeistischer Dichter und seine Frau. Ein Paar, das aus der Armut und Ausgrenzung heraus ein ganz einfaches Spiel entwickelt. Das Sex-Spiel. Die Frau des Dichters treibt es mit anderen. Nicht mit anderen Dichtern, denn der Dichter und also auch seine Frau stehen auf einer schwarzen Liste, und die anderen Dichter meiden sie wie Aussätzige. Die Frau ist sehr schön. Die drei Freunde, die sich in Anskys Heften eine ganze Nacht lang unterhalten, nicken. Die drei kennen sie oder haben sie irgendwann einmal gesehen. Wunderschön. Eine beeindruckende Frau. Ausgesprochen liebebedürftig. Auch der akmeistische Dichter treibt es mit anderen Frauen. Nicht mit Dichterinnen, auch nicht mit den Frauen oder Schwestern anderer Dichter, denn er ist Gift auf zwei Beinen, und alle fliehen ihn. Übrigens kann man nicht von ihm behaupten, dass er schön sei. Nein, nein. Eher hässlich. Der Dichter jedoch treibt es mit Arbeiterinnen, die er in der Metro oder beim Schlangestehen vor irgendwelchen Geschäften kennenlernt. Hässlich, ja, aber mit sanften Manieren und samtweicher Zunge.
    Die Freunde lachen. In der Tat, der Dichter rezitiert, denn sein Gedächtnis ist gut, die traurigsten Gedichte, und die jungen oder nicht mehr ganz so jungen Arbeiterinnen vergießen beim Zuhören heiße Tränen. Anschließend schlafen sie mit ihm. Die Frau des Dichters, deren Schönheit von der Notwendigkeit eines guten Gedächtnisses dispensieren würde und die dennoch ein besseres Gedächtnis besitzt als ihr Mann, ein sehr viel besseres, vögelt mit Arbeitern oder Matrosen auf Landgang oder mit bulligen verwitweten Vorarbeitern, die mit ihrem Leben und ihrer Kraft nichts mehr anzufangen wissen und denen das Auftauchen dieser phantastischen Frau wie ein Wunder erscheint. Sie treiben es auch zu mehreren. Der Dichter, seine Frau und eine weitere Frau. Der Dichter, seine Frau und ein weiterer Mann. Meistens als Trio, gelegentlich auch als Quartett oder Quintett. Manchmal lassen sie sich von ihrem Vorgefühl leiten und stellen in aller Form und mit Trara ihre jeweiligen Geliebten einander vor, die sich binnen einer Woche ineinander verlieben und nie wieder zu ihnen kommen, sich nie wieder an ihren kleinen proletarischen Orgien beteiligen, oder vielleicht doch, das weiß man nie. Jedenfalls hat das alles ein Ende, als der Dichter festgenommen wird und niemand mehr etwas von ihm hört, weil man ihn umbringt.
    Dann sprechen die Freunde wieder über den Selbstmord, seine Nachteile, seine Vorteile, bis der Morgen graut und einer von ihnen, Ansky, das Haus verlässt und Moskau verlässt, ohne Papiere, möglichen Verrätern hilflos ausgeliefert. Dann folgen Landschaften, durch Glasscheiben betrachtete Landschaften und verglaste Landschaften und Lehmpisten und namenlose Bahnstationen, wo sich die jungen, einem Buch von Makarenko entsprungenen Landstreicher zusammentun, und es gibt bucklige Jugendliche und erkältete Jugendliche, denen der Rotz aus der Nase tropft, und unbefestigte Straßen und hartes Brot und einen versuchten Überfall, dem Ansky entgeht, aber wie er ihm

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