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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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wenig, sagten die beiden widerwillig, und ich zog es vor, die Sache nicht zu vertiefen.
    Am nächsten Margen wiederholte sich die gleiche Prozedur mit leichten Veränderungen: Statt zwei hatten wir diesmal fünf Freiwillige, und drei Polizisten wurden durch drei andere ersetzt, die an der gestrigen Aufgabe nicht beteiligt gewesen waren. Auch bei meinen Leuten gab es Veränderungen: Ich schickte den anderen Sekretär hin, keinen Verwaltungsangestellten, nur mein Chauffeur blieb mit von der Partie.
    Am frühen Nachmittag verschwanden zwei weitere Kehrbrigaden, und am Abend schickte ich den Sekretär, der nicht in der Schlucht gewesen war, und den Leiter der Feuerschutzpolizei los, um unter den griechischen Juden vier neue Kehrbrigaden aufzustellen. Bevor die Nacht hereinbrach, machte ich einen Abstecher zur Schlucht. Wir hatten einen Unfall oder einen Beinahe-Unfall und kamen von der Straße ab. Mein Chauffeur, wie ich rasch bemerkte, war nervöser als gewöhnlich. Ich fragte ihn, was los sei. Du kannst offen mit mir reden, sagte ich.
    ›Ich weiß nicht, Exzellenz‹, erwiderte er. ›Ich fühle mich seltsam, muss mit dem Schlafmangel zusammenhängen.‹
    ›Du kannst nicht schlafen?‹, fragte ich.
    ›Es fällt mir schwer, Exzellenz, es fällt mir schwer, ich versuche es, weiß Gott, aber es fällt mir schwer.‹
    Ich versicherte ihm, dass er sich keine Sorgen machen müsse. Dann brachte er den Wagen zurück auf die Straße, und wir setzten die Fahrt fort. Als wir ankamen, nahm ich eine Taschenlampe und folgte jenem gespenstischen Weg. Die Tiere schienen sich urplötzlich aus dem Gebiet um die Schlucht zurückgezogen zu haben. In Zukunft, dachte ich, war dies ein Reich der Insekten. Mein Chauffeur trottete etwas unwillig hinter mir her. Ich hörte ihn pfeifen und sagte, er solle still sein. Auf den ersten Blick sah die Schlucht noch genauso aus wie bei meinem ersten Besuch.
    ›Und die Grube?‹, fragte ich.
    ›Dort drüben‹, sagte mein Chauffeur und zeigte auf das hintere Ende des Geländes.
    Ich wollte meine Untersuchung aber nicht weiter treiben und kehrte um. Am nächsten Tag ging mein Freiwilligentrupp mit den unerlässlichen Veränderungen, die ich aus Gründen geistiger Hygiene angeordnet hatte, wieder an die Arbeit. Am Ende der Woche waren acht Kehrbrigaden verschwunden, das machte insgesamt achtzig griechische Juden, aber nach der sonntäglichen Erholung tauchte ein neues Problem auf. Die Männer begannen die Härte der Arbeit zu spüren. Die Freiwilligen von den Höfen, die zwischenzeitlich auf sechs Mann angewachsen waren, zogen sich bis auf einen zurück. Die örtlichen Polizisten klagten über nervöse Beschwerden, und als ich versuchte, ihnen Vorhaltungen zu machen, wurde mir bewusst, wie schlecht es um den Zustand ihrer Nerven bestellt war. Die Leute in meiner Behörde zeigten wenig Begeisterung, sich an den Einsätzen weiter aktiv zu beteiligen, oder sie wurden unversehens krank. Meine eigene Gesundheit, wie ich eines Morgens beim Rasieren bemerkte, hing an einem seidenen Faden.
    Dennoch bat ich sie um eine letzte Anstrengung, und an diesem Morgen brachten sie mit beträchtlicher Verspätung zwei weitere Kehrbrigaden zur Schlucht. Während ich auf sie wartete, war es mir unmöglich zu arbeiten. Ich gab mir Mühe, aber ich konnte nicht. Nachmittags um sechs, als es bereits dunkel war, kamen sie zurück. Ich hörte sie in den Straßen singen, hörte, wie sie sich voneinander verabschiedeten, und begriff, dass die meisten betrunken waren. Ich machte ihnen keinen Vorwurf.
    Der Polizeichef, einer meiner Sekretäre und mein Chauffeur kamen hoch in mein Büro, wo ich, von düstersten Vorahnungen gepeinigt, auf sie wartete. Ich erinnere mich, dass sie sich setzten (der Chauffeur blieb an der Tür stehen) und kein Wort sagen mussten, damit ich verstand, wie sehr die ihnen anvertraute Aufgabe sie zermürbte. Man muss etwas tun, sagte ich.
    In dieser Nacht schlief ich nicht zu Hause. Ich machte eine Rundfahrt durch das Städtchen, schweigend, während mein Chauffeur fuhr und eine Zigarette rauchte, die ich selbst ihm vermacht hatte. Irgendwann schlief ich in meinen Mantel gehüllt auf dem Rücksitz ein und träumte, mein Sohn schrie Vorwärts, vorwärts! Immer vorwärts!
    Ich erwachte steifgefroren. Es war drei Uhr morgens, als ich vor der Tür des Bürgermeisters stand. Zuerst machte niemand auf, und fast hätte ich die Tür eingetreten. Dann hörte ich zögerliche Schritte. Wer ist da?, fragte eine Stimme,

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