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schrieb, was er mir mitzuteilen hatte: Kartoffeln in Leipzig von den eigenen Erzeugern geklaut. Was mich sehr erstaunte, denn die Kartoffeln waren auf deutschen Höfen angebaut worden, von Leuten, die sich gerade erst in der Region niedergelassen hatten und um eine tadellose Führung bemüht waren.
Wie?, schrieb ich auf das Papier. Keine Ahnung, schrieb der Sekretär unter meine Frage, wahrscheinlich mit falschen Frachtscheinen.
Na, es wäre nicht das erste Mal, dachte ich. Aber nicht meine Bauern. Und selbst wenn sie die Schuldigen wären, was konnte ich tun? Sie alle ins Gefängnis werfen? Wer hätte dabei etwas gewonnen? Sollte ich zulassen, dass die Böden unbestellt blieben? Ihnen ein Bußgeld verpassen und sie noch ärmer machen, als sie es schon waren? Ich kam zu dem Schluss, dass ich das nicht tun konnte. Ermitteln Sie weiter, schrieb ich unter seine Notiz. Und zum Schluss: Viel Erfolg.
Der Sekretär lächelte, hob die Hand, bewegte die Lippen, wie um Heil Hitler zu sagen, und entfernte sich auf Zehenspitzen. In diesem Moment fragte die jugendliche Stimme:
›Sind Sie noch dran?‹
›Ich bin hier‹, sagte ich.
›Schauen Sie, so wie die Dinge liegen, verfügen wir über keine Transportmöglichkeit, um die Juden abzuholen. Verwaltungstechnisch gehören sie zu Oberschlesien. Ich habe mit meinen Vorgesetzten gesprochen, und wir waren uns einig, dass es das Beste und Zweckmäßigste wäre, wenn Sie selbst sich ihrer entledigen würden.‹
Ich antwortete nicht.
›Haben Sie verstanden?‹, sagte die Stimme aus Warschau.
›Ja, ich habe verstanden‹, sagte ich.
›Dann wäre ja alles geklärt, richtig?‹
›Richtig‹, sagte ich. ›Aber ich hätte diesen Befehl gern schriftlich‹, fügte ich hinzu. Ich hörte ein singendes Lachen am anderen Ende. Es könnte das Lachen meines Sohnes sein, dachte ich, ein Lachen wie Nachmittage auf dem Land, blaue Bäche voller Forellen und der Duft von Blumen und mit Händen gerupftem Gras.
›Seien Sie nicht naiv‹, sagte die Stimme ohne jede Arroganz, ›solche Befehle erfolgen nie schriftlich.‹
In dieser Nacht konnte ich nicht schlafen. Ich begriff, dass man von mir erwartete, die griechischen Juden auf eigene Rechnung und Gefahr zu beseitigen. Am nächsten Morgen rief ich von meinem Büro aus den Bürgermeister, den Leiter der Feuerschutzpolizei, den Polizeichef und den Präsidenten des Verbands der Kriegsveteranen an und bestellte sie ins örtliche Kasino. Der Leiter der Feuerschutzpolizei sagte, er könne nicht kommen, seine Stute werde in Kürze fohlen, aber ich antwortete, es handle sich nicht um eine Partie Kniffel, sondern um etwas sehr viel Dringlicheres. Er wollte wissen, um was. Das erfährst du, wenn wir uns sehen, sagte ich.
Als ich im Kasino eintraf, waren alle da, saßen um einen Tisch und lauschten den Witzen eines alten Kellners. Auf dem Tisch stand warmes Brot frisch aus dem Ofen, Butter und Marmelade. Als er mich sah, verstummte der Kellner, ein kleines, altes, spindeldürres Männchen. Ich setzte mich auf einen leeren Platz und bestellte bei ihm eine Tasse Kaffee. Als er sie gebracht hatte, bat ich ihn zu gehen. Dann erklärte ich den Übrigen in wenigen Worten die Lage, in der wir uns befanden.
Der Leiter der Feuerschutzpolizei sagte, man müsse sofort bei der Leitung irgendeines Gefangenenlagers anrufen, das auch Juden aufnahm. Ich sagte, ich hätte bereits mit jemandem in Kulmhof telefoniert, aber er unterbrach mich und sagte, wir müssten uns mit einem Lager in Oberschlesien in Verbindung setzen. Die Diskussion nahm diese Richtung. Alle hatten Freunde, die jemanden kannten, der seinerseits befreundet war mit etc. Ich ließ sie reden, trank still meinen Kaffee, schnitt eine Scheibe Brot in zwei Hälften, beschmierte die eine mit Butter und aß sie. Dann schmierte ich Marmelade auf die andere Hälfte und aß sie. Der Kaffee war gut. Nicht wie Kaffee vor dem Krieg, aber gut. Als ich fertig war, sagte ich, dass alle Möglichkeiten in Betracht gezogen worden seien und der Befehl, die Juden zu beseitigen, feststünde. Offen sei nur das Wie, sagte ich. Haben Sie dafür irgendwelche Vorschläge?
Meine Tischgenossen sahen einander an, und keiner sagte ein Wort. Mehr um das ungemütliche Schweigen zu brechen, fragte ich den Bürgermeister, wie es um seine Erkältung stünde. Ich glaube nicht, dass ich den Winter überlebe, sagte er. Wir lachten alle, weil wir dachten, der Bürgermeister rede im Scherz, in Wirklichkeit aber hatte er es ernst
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