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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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lesen und er nicht mehr schreiben konnte. Manchmal hatte Reiter den Eindruck, Ingeborg sei eifersüchtig auf Hilde, wo sie fairerweise auf Grete hätte eifersüchtig sein müssen. Manchmal sah Reiter, bevor er zur Arbeit ging, vom Fenster der Dachwohnung aus die beiden Offiziere, mit denen Hilde ausging, die vom gegenüberliegenden Bürgersteig ihren Namen riefen und pfiffen. Öfters begleitete er sie nach unten und riet ihr, vorsichtig zu sein. Hilde antwortete unbekümmert:
    »Was können sie mir schon tun? Mich bombardieren?«
    Und dann lachte sie, und auch Reiter lachte über ihre Antworten.
    »Schlimmstenfalls tun sie mit mir, was du mit Ingeborg tust«, sagte sie einmal, und ihre Antwort ging Reiter lange nicht aus dem Kopf.
    Was ich mit Ingeborg tue. Aber was tat er mit Ingeborg anderes, als sie zu lieben?
    Endlich beschlossen die Mutter und die Schwestern, in das Dorf im Westerwald zurückzukehren, wo sich die Familie niedergelassen hatte, und Reiter und Ingeborg waren wieder allein. Jetzt können wir uns in Ruhe lieben, sagte Ingeborg. Reiter sah sie an: Sie war aufgestanden und räumte ein wenig die Wohnung auf. Ihr Nachthemd war elfenbeinfarben, ihre Füße wirkten lang und knochig und hatten fast die gleiche Farbe. Von dem Tag an besserte sich ihr Gesundheitszustand spürbar, und als der vom englischen Arzt angekündigte Schicksalsmoment gekommen war, ging es ihr besser denn je.
    Kurz darauf fand sie Arbeit in einer Schneiderei, die alte Kleidung in neue, aus der Mode gekommene Kleidung in aktuelle Mode verwandelte. In dem Geschäft gab es ganze drei Nähmaschinen, aber dank des Einsatzes der Chefin, einer tatkräftigen und pessimistischen Frau, die nicht den leisesten Zweifel hegte, dass spätestens 1950 der dritte Weltkrieg ausbrechen werde, blühte das Geschäft. Anfangs kam Ingeborg die Aufgabe zu, nach den von Frau Raab gefertigten Mustern Stoffteile zu nähen, aber wegen der ungeheuren Menge Arbeit in der kleinen Firma bestand ihre Aufgabe schon bald darin, Modegeschäfte für Frauen zu besuchen, Bestellungen entgegenzunehmen und diese später selbst auszuliefern.
    Zu jener Zeit schloss Reiter seinen ersten Roman ab. Er gab ihm den Titel Lüdicke und musste auf der Suche nach jemandem, der ihm eine Schreibmaschine lieh, durch entlegene Kölner Gassen laufen, weil er beschlossen hatte, sie sich bei niemandem zu leihen oder zu mieten, der ihn kannte, das heißt, der wusste, dass er Hans Reiter hieß. Schließlich fand er einen alten Mann, der eine alte französische Maschine besaß, diese zwar normalerweise nicht vermietete, doch bei Schriftstellern eine Ausnahme machte.
    Der Preis, den der Alte verlangte, war hoch, und erst dachte Reiter, dass es wohl besser sei weiterzusuchen, aber als er die Maschine sah, makellos erhalten, ohne ein Stäubchen, sämtliche Typen bereit, ihren Abdruck auf dem Papier zu hinterlassen, beschloss er, dass er sich ruhig den Luxus erlauben konnte, ihn zu bezahlen. Der Alte verlangte das Geld im Voraus, und noch am selben Abend erbat und bekam Reiter in der Bar Leihgaben von mehreren Mädchen. Tags darauf erschien er wieder bei dem Alten und hielt ihm das Geld hin, worauf dieser jedoch ein Büchlein aus einem Schreibtisch hervorkramte und nach seinem Namen fragte. Reiter nannte den ersten, der ihm einfiel.
    »Ich heiße Benno von Archimboldi.«
    Der Alte sah ihn daraufhin scharf an und sagte, er solle nicht den Neunmalklugen spielen und seinen richtigen Namen nennen.
    »Mein Name ist Benno von Archimboldi«, sagte Reiter, »und wenn Sie glauben, ich mache Witze, ist es wohl besser, ich gehe wieder.«
    Eine Weile lang schwiegen beide. Die Augen des Alten waren dunkelbraun, wirkten in dem schwachen Licht seines Büros jedoch fast schwarz. Archimboldis Augen waren blau, und dem Alten erschienen sie wie die Augen eines jungen Dichters, müde, überanstrengte, gerötete, aber junge und in gewisser Hinsicht reine Augen, obwohl der alte Mann den Glauben an die Reinheit seit langem verloren hatte.
    »Dieses Land«, sagte er zu Reiter, der sich womöglich an diesem Nachmittag in Archimboldi verwandelte, »hat versucht, im Namen der Reinheit und des Willens etliche Länder in den Abgrund zu stürzen. Reinheit und Wille, das werden Sie verstehen, sind in meinen Augen reiner Blödsinn. Dank der Reinheit und des Willens haben wir alle - haben Sie gehört? -, wir alle uns in eine Bande von Feiglingen und Totschlägern verwandelt, was beides letztlich dasselbe ist. Jetzt weinen wir und

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