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und nachdem sie am Waggon das Vorhängeschloss gelöst hatten, begannen sie mit der Arbeit. Schon nach einer Stunde waren sie fertig; zwei der Fallschirmjäger stiegen in die Fahrerkabine, Archimboldi und der dritte Fallschirmjäger zwängten sich zwischen die Kisten auf der Ladefläche. Sie fuhren durch zum Teil unbeleuchtete Nebenstraßen zu Bittners Büro am Stadtrand, wo die Sekretärin mit einer Thermoskanne Kaffee und einer Flasche Whisky auf sie wartete. Als sie alles abgeladen hatten, gingen sie hoch ins Büro und begannen ein Gespräch über General Udet. Während sie Whisky mit Kaffee mischten, überließen sich die Fallschirmjäger Erinnerungen an die jüngste Vergangenheit, die in diesem Fall zugleich heroische Erinnerungen waren, durchsetzt mit abgeklärtem Gelächter, als wollten sie sagen, ich hab das schon alles hinter mir, mich lockt ihr damit nicht hinterm Ofen hervor, ich kenne die Menschen, das Trommelfeuer der Triebe, meine geschichtlichen Erinnerungen sind mit Flammenschrift geschrieben und mein einziges Kapital, und so beschworen sie die Gestalt Udets herauf, General Udet, Flieger-As der Luftwaffe, der wegen der von Göring erhobenen Verleumdungen Selbstmord begangen habe.
Archimboldi wusste nicht genau, wer Udet war, und fragte auch nicht nach. Sein Name kam ihm bekannt vor, wie ihm andere Namen bekannt vorkamen, aber nicht mehr. Zwei der Fallschirmjäger hatten Udet bei einer Gelegenheit gesehen und sprachen von ihm in den höchsten Tönen.
»Einer der besten Männer der Luftwaffe.«
Der dritte Fallschirmjäger hörte zu und schüttelte den Kopf, nicht sehr überzeugt von dem, was seine Kameraden behaupteten, aber doch nicht bereit, ihnen zu widersprechen, und Archimboldi hörte entsetzt zu, denn wenn er von etwas überzeugt war, dann davon, dass es im Zweiten Weltkrieg mehr als genug Gründe gab, sich umzubringen, aber die Stänkereien eines Göring gehörten bestimmt nicht dazu.
»Also hat sich dieser Udet wegen Görings Salonintrigen umgebracht?«, sagte er. »Also hat sich dieser Udet nicht wegen der Vernichtungslager umgebracht oder wegen des Gemetzels an der Front oder wegen der brennenden Städte, sondern weil Göring behauptet hat, er sei eine Niete?«
Die drei Fallschirmjäger schauten ihn an, als sähen sie ihn zum ersten Mal, zeigten allerdings keine allzu große Überraschung.
»Vielleicht hatte Göring ja recht«, sagte Archimboldi, während er sich noch etwas Whisky eingoss und die Tasse mit der Hand bedeckte, als die Sekretärin sie mit Kaffee auffüllen wollte. »Vielleicht war dieser Udet im Grunde eine Niete«, sagte er. »Vielleicht war dieser Udet wirklich ein Bündel ungeschickter und fadenscheiniger Nerven«, sagte er. »Vielleicht war dieser Udet eine Schwuchtel, wie fast alle Deutschen, die für Hitler den Arsch hingehalten haben«, sagte er.
»Du bist nicht zufällig Österreicher?«, fragte einer der Fallschirmjäger.
»Nein, ich bin Deutscher wie ihr«, sagte Archimboldi.
Eine Weile lang blieben die drei Fallschirmspringer stumm, als überlegten sie noch, ob sie ihn umbringen oder nur windelweich prügeln sollten. Die Selbstsicherheit von Archimboldi, der ihnen von Zeit zu Zeit zornige Blicke zuwarf, in denen alles Mögliche, nur keine Furcht zu lesen stand, ließ sie von einer aggressiven Antwort Abstand nehmen.
»Gib ihm sein Geld«, sagte einer von ihnen zu der Sekretärin.
Diese stand auf und öffnete einen Metallschrank, in dem sich unten ein kleiner Tresor befand. Die Summe, die sie Archimboldi in die Hand drückte, entsprach der Hälfte eines Monatslohns in der Bar in der Spenglerstraße. Archimboldi verwahrte das Geld in der Innentasche seiner Jacke, unter den nervösen Augen der Fallschirmjäger (die überzeugt waren, dass er dort eine Pistole oder ein Messer trug), schaute sich dann nach der Whiskyflasche um und konnte sie nicht finden. Er fragte nach ihr. Ich habe sie weggestellt, sagte die Sekretärin, du hast schon genug gehabt, Jungchen. Das Wort Jungchen gefiel Archimboldi, trotzdem bat er um mehr.
»Nimm einen letzten Schluck und dann zieh Leine, wir haben noch zu tun«, sagte einer der Fallschirmjäger.
Archimboldi nickte. Die Sekretärin goss ihm zwei Fingerbreit ein. Langsam und genießerisch trank Archimboldi den Whisky, von dem er annahm, dass er auch Schmuggelware war. Dann stand er auf, und zwei Fallschirmjäger begleiteten ihn zur Tür. Draußen war es dunkel, und obwohl er genau wusste, wohin er gehen musste, konnte er es nicht
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