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vermeiden, mit den Füßen in Gehwegschäden und Schlaglöchern zu landen, die sich durch das Viertel zogen.
Zwei Tage später wurde Archimboldi erneut in Mickey Bittners Verlag vorstellig, und die Sekretärin, die ihn nun schon kannte, sagte, sie hätten sein Manuskript gefunden. Herr Bittner war in seinem Büro. Die Sekretärin fragte, ob er ihn sprechen wolle.
»Will er mich sprechen?«, fragte Archimboldi.
»Ich glaube schon«, sagte die Sekretärin.
Kurz schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, Bittner könne vielleicht jetzt seinen Roman veröffentlichen wollen. Möglicherweise wollte er ihn auch sprechen, um ihm wieder eine Arbeit in seinem Import-Export-Geschäft anzubieten. Er dachte jedoch, dass er ihm, wenn er ihn sah, wahrscheinlich die Nase brechen würde, und winkte ab.
»Dann viel Glück«, sagte die Sekretärin.
»Danke«, sagte Archimboldi.
Das zurückerhaltene Manuskript schickte er an einen Verlag in München. Nachdem er es auf die Post gebracht hatte, wurde ihm auf dem Heimweg schlagartig bewusst, dass er während der ganzen Zeit kaum etwas geschrieben hatte. Er sprach davon gegenüber Ingeborg, nachdem sie miteinander geschlafen hatten.
»Was für eine Zeitverschwendung«, sagte sie.
»Ich weiß nicht, wie mir das passieren konnte«, sagte er.
Am Abend, während seines Dienstes am Eingang der Bar, dachte er über eine Zeit der zwei Geschwindigkeiten nach, davon die eine so langsam war, dass Menschen und Gegenstände sich in ihr fast unmerklich bewegten, die andere so schnell, dass alles, selbst das Schwerfälligste und Behäbigste, vor Geschwindigkeit flimmerte. Die eine Zeit hieß Paradies, die andere Hölle, und Archimboldi wünschte sich nur, in keiner der beiden jemals leben zu müssen.
Eines Morgens erhielt er einen Brief aus Hamburg. Unterschrieben war der Brief von Jacob Bubis, dem großen Verleger, der sich lobend, doch ohne Übertreibung, also gewissermaßen zwischen den Zeilen lobend, über Lüdicke äußerte, über ein Werk, das zu veröffentlichen ihn interessieren würde, sofern Herr Benno von Archimboldi nicht schon einen Verleger habe, was er sehr bedauern würde, denn sein Roman besitze unbestreitbare Qualitäten und sei in gewisser Hinsicht neuartig, kurz: Ein Buch, das er, Jacob Bubis, mit größtem Interesse gelesen habe und auf dessen Wirkung er ohne zu zögern wetten würde, allerdings könne er ihm, wie die Dinge im deutschen Verlagsgeschäft lägen, höchstens einen so und so hohen Vorschuss anbieten, ein lächerlicher Betrag, das wisse er selbst, ein Betrag, den er vor fünfzehn Jahren nicht zu äußern gewagt hätte, der ihm im Gegenzug aber eine sorgfältige Edierung und den Vertrieb des Buches über alle guten Buchhandlungen garantiere, nicht nur in Deutschland, auch in Österreich und in der Schweiz, wo der Name Bubis von den demokratisch gesinnten Buchhändlern in Ehren gehalten werde und für eine unabhängige und penible Herausgeberschaft bürge.
Zum Schluss verabschiedete sich Bubis höflich mit der Bitte, Archimboldi möge, wenn er einmal nach Hamburg käme, nicht zögern, ihn zu besuchen, und legte dem Brief einen kleinen Verlagsprospekt bei, gedruckt auf billigem Papier, aber mit schöner Schrifttype, in dem das baldige Erscheinen zweier »großartiger« Bücher angekündigt wurde, eines der ersten Werke Alfred Döblins und ein Band mit Essays von Heinrich Mann.
Als Archimboldi Ingeborg den Brief zeigte, wunderte sie sich, weil sie nicht wusste, wer dieser Benno von Archimboldi war.
»Das bin natürlich ich «, sagte Archimboldi.
»Und warum hast du deinen Namen geändert?«, wollte sie wissen.
»Sicherheitshalber«, antwortete Archimboldi nach kurzem Nachdenken.
»Vielleicht suchen die Amerikaner nach mir«, sagte er. »Vielleicht haben die deutsche und die amerikanische Polizei die losen Fäden miteinander verknüpft.«
»Wegen eines Kriegsverbrechers?«, sagte Ingeborg.
»Die Justiz ist blind«, erinnerte sie Archimboldi.
»Blind, wenn es ihr in den Kram passt«, sagte Ingeborg, »und wem passt es in den Kram, Sammers schmutzige Wäsche ans Licht zu ziehen? Niemandem!«
»Man kann nie wissen«, sagte Archimboldi. »Jedenfalls ist es für mich am sichersten, wenn Reiter vergessen wird.«
Ingeborg sah ihn erstaunt an.
»Du lügst«, sagte sie.
»Nein, tue ich nicht«, sagte Archimboldi, und Ingeborg glaubte ihm, aber als er nachher zur Arbeit aufbrach, sagte sie mit breitem Grinsen:
»Du bist dir sicher, dass du berühmt wirst!«
Bis zu
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