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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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diesem Moment hatte Archimboldi nie über Ruhm nachgedacht. Hitler war berühmt. Göring war berühmt. Die Leute, die er liebte oder an die er sich mit Wehmut erinnerte, waren nicht berühmt, sondern erfüllten bestimmte Bedürfnisse. Döblin war sein Trost. Ansky war seine Stärke, Ingeborg war seine Freude. Der verschwundene Hugo Halder war seine Lebensleichtigkeit. Seine Schwester war seine Unschuld. Natürlich waren sie auch noch etwas anderes. Manchmal waren sie sogar alles zusammen, Berühmtheit jedoch nicht, die, wenn nicht in Ruhmsucht, dann in Selbsttäuschung und Lüge wurzelte. Außerdem war der Ruhm reduktionistisch. Alles, was auf Ruhm abzielte, und alles, was aus Ruhm hervorging, verengte sich. Die Botschaften des Ruhms waren simpel. Ruhm und Literatur waren unversöhnliche Feinde.
    Den ganzen weiteren Tag dachte er darüber nach, warum er seinen Namen geändert hatte. In der Bar wussten alle, dass er Hans Reiter hieß. Auch alle seine Bekannten in Köln wussten, dass er Hans Reiter hieß. Wenn die Polizei sich doch entschloss, ihn wegen Mordes an Sammer zu verfolgen, würde an Fährten mit dem Namen Reiter kein Mangel herrschen. Warum sich also einen Nom de plume zulegen? Vielleicht hatte Ingeborg recht, dachte Archimboldi, vielleicht bin ich mir im Grunde sicher, dass ich berühmt werde, und der Namenswechsel ist eine erste Maßnahme zu meiner künftigen Sicherheit. Aber vielleicht bedeutet es auch etwas ganz anderes. Vielleicht, vielleicht, vielleicht ...
    Am Tag nach Erhalt des Briefes aus Hamburg schrieb Archimboldi an Bubis, sein Roman sei noch an keinen Verlag gebunden, und der Vorschuss, den Herr Bubis ihm zu zahlen versprochen habe, erscheine ihm akzeptabel.
    Kurz darauf erreichte ihn ein Antwortschreiben, in dem Bubis ihn nach Hamburg einlud, um ihn persönlich kennenzulernen und bei der Gelegenheit den Vertrag zu unterzeichnen. In der gegenwärtigen Zeit, schrieb Bubis, fehlt mir das Vertrauen in die deutsche Post, in ihre sprichwörtliche Pünktlich- und Verlässlichkeit. Und in jüngster Vergangenheit, vor allem seit meiner Rückkehr aus England, ist es bei mir zu einer Marotte geworden, alle meine Autoren persönlich zu kennen.
    Vor 33, erklärte er, habe ich viele deutsche Talente verlegt, und 1940, in der Einsamkeit eines Londoner Hotelzimmers, vertrieb ich mir die Zeit mit Berechnungen, wie viele von den Schriftstellern, deren Erstlinge ich veröffentlicht hatte, wohl in die NSDAP eingetreten, wie viele zur SS gegangen waren, wie viele für antisemitische Hetzblätter schrieben, wie viele in der Nazibürokratie Karriere machten. Das Ergebnis trieb mich fast zum Selbstmord, schrieb Herr Bubis.
    Statt mich umzubringen, beschränkte ich mich darauf, mich zu ohrfeigen. Plötzlich gingen im Hotel die Lichter aus. Ich beschimpfte und ohrfeigte mich weiter. Wer mich gesehen hätte, würde mich für verrückt gehalten haben. Auf einmal bekam ich keine Luft mehr und öffnete das Fenster. Vor mir lag das nächtliche Schauspiel des Krieges: Ich sah mit an, wie London bombardiert wurde. Die Bomben fielen in der Nähe des Flusses, doch in der Nacht schienen sie wenige Meter neben dem Hotel niederzugehen. Die Lichtgarben der Scheinwerfer wanderten über den Himmel. Der Bombenlärm wurde immer lauter. Von Zeit zu Zeit verriet eine kleine Explosion, ein Aufblitzen oberhalb der Schutzballons, sofern es keine Täuschung war, dass es eine deutsche Maschine getroffen hatte. Ungeachtet der Schrecken, die mich umgaben, ohrfeigte und beleidigte ich mich weiter. Trottel, Kretin, Hohlkopf, Idiot, Bauerntrampel, Dumpfbacke. Wie Sie sehen, ziemlich kindische oder senile Beleidigungen.
    Dann klopfte es an der Tür. Ein blutjunger irischer Hoteljunge stand draußen. In einem Anfall von Wahnsinn glaubte ich in seinen Gesichtszügen die von James Joyce zu erkennen. Köstlich!
    »Sie müssen die Pforten schließen, Väterchen«, sagte er zu mir. »Die was?«, fragte ich, rot wie eine Kermesschildlaus.
    »Das Fenstergeflügel, Opa, und dann abgeschwirrt in den Untergrund.«
    Ich verstand, dass er mir befahl, in den Keller hinunterzugehen.
    »Einen Moment, mein Junge«, sagte ich und reichte ihm ein Scheinchen Trinkgeld.
    »Ehrwürden ist ein Verschwendrian«, sagte er, bevor er ging, »aber jetzt hurtig hinab in die Katakomben.«
    »Gehen Sie voraus«, sagte ich, »ich komme gleich nach.«
    Als er gegangen war, machte ich das Fenster wieder auf und betrachtete die Brände in den Docks am Fluss und weinte über das, was

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