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ganzen Krieg im Osten mitgemacht hatte, besaß er keine Vorstellung davon, was ein Bombenteppich war, und sagte das auch. Der Verleger, der Michael Bittner hieß, aber der es gern hatte oder gut fand, wenn seine Freunde ihn wie die Comicmaus Mickey nannten, erklärte ihm, dass man von einem Bombenteppich spreche, wenn eine Menge feindlicher Flugzeuge, aber wirklich eine große, eine riesige, eine ungeheure Menge Flugzeuge ihre Bomben über einem begrenzten Frontabschnitt, einem zuvor abgesteckten Stück Land abwarfen, bis dort kein Grashalm mehr zu sehen war.
»Ich weiß nicht, ob ich mich verständlich ausgedrückt habe, Benno«, sagte er und schaute Archimboldi tief in die Augen.
»Sie haben sich völlig verständlich ausgedrückt, Mickey«, sagte Archimboldi und dachte im gleichen Moment, dass der Typ vor ihm nicht nur unangenehm, sondern geradezu lächerlich war, so lächerlich wie die Schmierenkomödianten und armen Teufel, die sich einbilden, einem entscheidenden Moment der Geschichte beigewohnt zu haben, wo doch jeder weiß, dachte Archimboldi, dass die Geschichte, diese mausgraue Hure, keine entscheidenden Momente kennt, dass sie vielmehr eine Häufung von Augenblicken ist, von Zeitpunkten, die sich gegenseitig an Monstrosität überbieten.
Aber was Mickey Bittner, dieser arme, in seinen toll geschnittenen, zu engen Anzug gezwängte Wicht wollte: Er wollte ihm erklären, welche Wirkung ein Bombenteppich auf die Soldaten ausübe und wie man sich mittels seines Patentrezepts dagegen schützen könne. Der Lärm. Das Erste ist der Lärm. Der Soldat sitzt in seinem Schützengraben oder in seiner schlecht befestigten Stellung, und plötzlich hört er den Lärm. Den Lärm von Flugzeugen. Nicht den von Jagdfliegern oder Jagdbombern, der ein schneller Lärm ist, wenn ich so sagen darf, ein tieffliegender Lärm, sondern einen Lärm, der von ganz oben am Himmel kommt, ein grummelnder, brummelnder Lärm, der nichts Gutes verheißt, als würden sich Unwetter nähern und Wolken kollidieren, nur dass da weder Wolken noch Unwetter sind. Natürlich hebt der Soldat den Kopf. Und sieht anfangs nichts. Der Kanonier hebt den Kopf. Er sieht nichts. Der Maschinengewehrschütze, der Mann am Granatwerfer, der Späher der Vorhut, alle heben den Kopf und sehen nichts. Der Fahrer eines Panzerfahrzeugs oder Sturmgeschützes hebt den Kopf. Auch er sieht nichts. Aus Vorsicht jedoch biegt der Fahrer von der Straße ab. Er lenkt den Wagen unter einen Baum oder bedeckt ihn mit einem Tarnnetz. Unmittelbar darauf tauchen die ersten Flugzeuge auf.
Die Soldaten schauen zu ihnen auf. Es sind viele, aber die Soldaten glauben, dass sie es mit ihren Bomben auf Städte im Hinterland abgesehen haben. Auf Städte oder Brücken oder Eisenbahnlinien. Es sind viele, so viele, dass der Himmel schwarz von ihnen ist, aber ihr Ziel sind sicher Industriegebiete in Deutschland. Doch zum allgemeinen Erstaunen werfen die Flugzeuge ihre Bomben hier ab, und die Bomben gehen auf einer begrenzten Fläche nieder. Auf die erste Welle folgt eine zweite. Der Lärm wird ohrenbetäubend. Die Bomben fallen und reißen Krater in die Erde. Wäldchen gehen in Flammen auf. Das Buschwerk, größter Schützengraben der Normandie, verschwindet allmählich. Alle Zäune fliegen durch die Luft. Anhöhen brechen weg. Viele Soldaten werden auf der Stelle taub. Einige halten es nicht länger aus und stürmen los. In diesem Moment geht die dritte Welle von Flugzeugen über das eingegrenzte Areal und wirft ihre Bomben ab. Der Lärm, kaum zu glauben, nimmt zu. Aber nennen wir es weiterhin Lärm. Man könnte es auch Getöse nennen, Brausen, Krachen, Trommeln, Gellen, Gebrüll der Götter, aber Lärm ist ein einfaches Wort und eignet sich gleich gut oder schlecht für das, was keinen Namen hat. Der Maschinengewehrschütze stirbt. Sein toter Körper wird von einer zweiten Bombe voll getroffen. Knochen und Fleischfetzen regnen auf Stellen nieder, die dreißig Sekunden später von weiteren Bomben umgepflügt werden. Der Mann am Granatwerfer hat sich in Luft aufgelöst. Der Fahrer des Panzerfahrzeugs versucht, einen geschützteren Platz anzusteuern, wird aber dabei von einer Bombe erwischt, und zwei nachfolgende Bomben verwandeln das Fahrzeug und den Fahrer in eine formlose Masse, halb Schlacke, halb Lava. Dann folgt die vierte und fünfte Welle. Alles brennt. Erinnert nicht mehr an Normandie, sondern an Mondlandschaft. Nachdem die Bomber ihre Fracht auf dem vorbestimmten Gebiet abgeworfen
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