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Espinoza von keiner den Namen. Auf der einen Seite standen die Körper und Gesichter, auf der anderen, in einer Art Lüftungsrohr, zirkulierten die Susanas, Lorenas, Lolas, Martas, Paulas, körperlose Namen, namenlose Gesichter.
Er traf keine zweimal. Machte die Bekanntschaft einer Dominikanerin, einer Brasilianerin, dreier Andalusierinnen, einer Katalanin. Lernte vom ersten Mal an, der schweigsame Freier zu sein, der gutgekleidete Typ, der bezahlt und oft nur mit einer Geste zu verstehen gibt, was er will, der sich hinterher wieder anzieht und verschwindet, als sei er nie da gewesen. Er machte die Bekanntschaft einer Chilenin, die sich als Chilenin anpries, und einer Kolumbianerin, die sich als Kolumbianerin anpries, als böten diese Nationalitäten einen zusätzlichen Reiz. Er trieb es mit einer Französin, mit zwei Polinnen, mit einer Russin, mit einer Ukrainerin, mit einer Deutschen. Eines Nachts schlief er mit einer Mexikanerin, und die war die Beste.
Wie immer gingen sie in ein Hotel, und beim Aufwachen am nächsten Morgen war die Mexikanerin fort. Es war ein seltsamer Tag. Als wenn etwas in ihm zerbrochen wäre. Er blieb lange auf der Bettkante sitzen, nackt, die Füße auf dem Boden, während er sich an etwas Undeutliches zu erinnern versuchte. Unter der Dusche bemerkte er unterhalb der Leiste einen dunklen Fleck. Als hätte jemand an seinem linken Bein gesaugt oder einen Blutegel angesetzt. Die Stelle besaß die Größe einer Kinderfaust. Erst dachte er, die Prostituierte habe ihm einen Knutschfleck verpasst, und versuchte, sich zu erinnern, was ihm nicht gelang, er erinnerte sich nur noch an das Bild von ihm auf ihr, von ihren Beinen über seinen Schultern, und an ein paar vage, unverständliche Worte, von denen er nicht wusste, ob er oder die Mexikanerin sie gesagt hatte, wahrscheinlich irgendwelche Obszönitäten.
Er dachte, er hätte sie seit Tagen vergessen, als er sich eines Nachts dabei ertappte, wie er in den von Prostituierten frequentierten Straßen von Madrid oder in der Casa de Campo nach ihr suchte. Einmal meinte er, sie erkannt zu haben, folgte ihr und tippte ihr auf die Schulter. Die Frau, die sich umdrehte, war Spanierin und glich der mexikanischen Prostituierten nicht im Geringsten. Eines Nachts glaubte er, sich in einem Traum an das zu erinnern, was sie zu ihm gesagt hatte. Ihm war klar, dass er träumte, ihm war klar, dass der Traum schlecht enden würde, ihm war klar, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit, ihre Worte vergessen würde und dass es so vielleicht das Beste wäre, doch nahm er sich vor, sein Möglichstes zu tun, um sich nach dem Aufwachen an sie zu erinnern. Er versuchte sogar, im Traum, dessen Himmel sich wie ein Strudel in Zeitlupe drehte, ein jähes Aufwachen zu erzwingen, versuchte Licht zu machen, versuchte zu schreien, damit sein eigener Schrei ihn ins Wachen zurückbrächte, aber die Birnen in seiner Wohnung schienen alle durchgebrannt, und anstelle eines Schreis hörte er nur ein fernes Stöhnen, wie das eines Jungen oder Mädchens oder eines Tieres, das in einem abgelegenen Zimmer Zuflucht gesucht hatte.
Als er erwachte, erinnerte er sich natürlich an nichts, nur, dass er von der Mexikanerin geträumt hatte; dass sie in einem langen, schlecht erleuchteten Flur stand und er sie beobachtete, ohne dass sie es merkte. Die Mexikanerin schien etwas an der Wand zu lesen, Graffiti oder obszöne, mit Filzstift geschriebene Botschaften, die sie stockend buchstabierte, als könnte sie nicht leise lesen. Ein paar Tage suchte er noch nach ihr, dann verlor er die Lust und schlief mit einer Ungarin, mit zwei Spanierinnen, mit einer Gambierin, einer Senegalesin und einer Argentinierin. Er träumte nie wieder von der Mexikanerin, und irgendwann hatte er sie vergessen.
Die Zeit, die alle Wunden heilt, besänftigte schließlich auch ihr schlechtes Gewissen, das ihnen der gewalttätige Vorfall in London beschert hatte. Eines Tages kehrten sie zu ihrer alten Beschäftigung zurück und fühlten sich wie neugeboren. Mit ungewöhnlichem Elan widmeten sie sich wieder ihren Forschungen und Konferenzen, als wäre das Nutten-Intermezzo eine zur Erholung unternommene Mittelmeerkreuzfahrt gewesen. Sie suchten wieder häufiger Kontakt zu Morini, den sie anfangs bei ihren Abenteuern gewissermaßen außen vor gelassen und später unverhohlen verdrängt hatten. Der Italiener schien ihnen in einer etwas schlechteren Verfassung als gewöhnlich, war aber unverändert warmherzig, intelligent und
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