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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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nicht nur über Dirk Bogarde, man sprach auch über Politik und über die Betrügereien, die man von der neuen Hamburger Obrigkeit zu gewärtigen hatte, oder über gewisse Autoren, denen jeder Anstand fremd war, dreiste und unverhohlene Plagiatoren mit einer Maske der Leutseligkeit, dahinter sich ein Gesicht verbarg, in dem Angst und Kränkung miteinander wetteiferten, Schriftsteller, die sich jede erdenkliche Reputation anmaßen, in der Gewissheit, sie werde ihren Nachruhm befördern, jeden erdenklichen Nachruhm, was bei den Korrektorinnen und allen anderen Verlagsmitarbeitern für Heiterkeit sorgte und sogar Bubis zu einem resignierten Lächeln reizte, denn niemand wusste besser als sie, dass der Nachruhm ein Vaudeville-Witz war, den nur die verstanden, die in der ersten Reihe saßen, und dann kamen sie auf Lapsus Calami zu sprechen, auf ein vor geraumer Zeit in Paris erschienenes Buch mit dem treffenden Titel Musée des erreurs sowie auf ein ähnliches Kompendium des Druckfehlerjägers Max Sengen. Und gesagt, getan holten die Korrektorinnen ein Buch hervor (weder das französische Musée des erreurs noch das Buch von Sengen), dessen Titel Archimboldi nicht erkennen konnte, und gaben daraus einige kultivierte Perlen zum Besten:
    »›Arme Marie! Jedes Mal, wenn sie das Getrappel eines nahenden Pferdes hört, denkt sie, ich sei es.‹ Chateaubriand, Vie de Rancé. «
    »›Die Besatzung des von den Wellen verschlungenen Schiffes bestand aus fünfundzwanzig Mann, die Hunderte zu bitterer Armut verurteilte Witwen hinterließen.‹ Gaston Leroux, Chéri-Bibi. Les cages flottantes. «
    »›Mit Gottes Hilfe wird über Polen wieder die Sonne scheinen.‹ Sinkiewicz, Die Sintflut. «
    »›Also los! sagte Peter und suchte nach seinem Hut, um sich die Tränen abzuwischen.‹ Zola, Lourdes. «
    »›Der Graf erschien, gefolgt von seinem vorauseilenden Gefolge.‹ Alphonse Daudet, Briefe aus meiner Mühle. «
    »›Mit auf dem Rücken gefalteten Händen ging Henri im Garten auf und ab und las den Roman seines Freundes.‹ Rosny, Le Cataclysme. «
    »›Mit dem einen Auge las, mit dem anderen schrieb er.‹ Auback, An den Ufern des Rheins. «
    »›Die Leiche wartete still auf ihre Autopsie.‹ Octave Feuillet, Der Günstling des Glücks. «
    »›Wilhelm konnte sich nicht vorstellen, dass ein Herz zu etwas anderem gut war als zum Atmen.‹ Argibatschew, Der Tod. «
    »›Dieser Ehrendegen ist der schönste Tag meines Lebens.‹ Octave Feuillet, Honneur d'artiste. «
    »›Ich blicke nicht mehr durch, sagte die arme Blinde.‹ Balzac, Béatrix. «
    »›Nachdem sie ihn einen Kopf kürzer gemacht hatten, begruben sie ihn bei lebendigem Leibe.‹ Henri Zvedan, Montgomers Tod. «
    »›Er hatte kalte Hände wie eine Schlange.‹ Ponson du Terrail, ohne Stellenangabe. «
    Besonders bemerkenswert in der Sammlung von Max Sengen waren folgende Stilblüten, allesamt ohne Angaben zu Autor und Werk:
    »Vorwurfsvoll blickte die Leiche zu den umstehenden Passanten auf.«
    »Was kann ein von einer Kugel tödlich getroffener Mann schon tun?»
    »In der Umgebung der Stadt gab es Rudel von Bären, die einzeln herumstrichen. «
    »Unglücklicherweise verzögerte sich die Hochzeit um vierzehn Tage, in welcher Zeit die Braut mit dem Kapitän durchbrannte und ihm acht Kinder gebar.«
    »Ausflüge von drei oder vier Tagen waren für sie an der Tagesordnung.«
    Dann folgten Kommentare. Der Schweizer meinte zum Beispiel, der Satz von Chateaubriand käme völlig unerwartet, obendrein klinge er unterschwellig sexuell.
    »Hochgradig sexuell«, sagte die Baroness.
    »Schwer zu glauben im Fall von Chateaubriand«, warf die Lektorin ein.
    »Die Pferdeanspielung ist jedenfalls unmissverständlich«, befand der Schweizer.
    »Arme Marie!« resümierte die Pressechefin.
    Dann sprachen sie über Henri aus Le Cataclysme von Rosny, Bubis zufolge ein kubistischer Text. Oder, nach Ansicht der Buchgestalterin, der treffendste Ausdruck von Nervosität und Lektüre, denn Henri las nicht nur mit auf dem Rücken gefalteten Händen, sondern ging dabei auch noch im Garten auf und ab. Was manchmal eine feine Sache sei, wie der Schweizer einwarf, der Einzige unter den Anwesenden, wie sich herausstellte, der gelegentlich beim Gehen las.
    »Es könnte immerhin sein«, sagte die Lektorin, »dass dieser Henri eine Vorrichtung erfunden hat, die es ihm erlaubt, das Buch ohne Zuhilfenahme der Hände zu halten und zu lesen.«
    »Aber wie«, fragte die Baroness, »blättert er die

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