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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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steht nur Ihr Name.« »Genau«, sagte El Cerdo, »nur mein Name, und Schluss, verstehen Sie?«
    »Verstehe«, sagte Espinoza.
    »Offensichtlich habe ich Frau Bubis Karte A gegeben.«
    »Und sie hat sie dann an Archimboldi weitergereicht«, sagte Espinoza.
    »Exakt«, sagte El Cerdo.
    Bis fünf Uhr morgens blieb El Cerdo mit dem Deutschen zusammen. Nach dem Essen (der Alte hatte Hunger und bestellte noch mehr Tacos und noch mehr Tequila, und El Cerdo vergrub derweil den Kopf wie ein Vogel Strauß in Reflexionen über Melancholie und Macht) drehten sie eine größere Runde um den Zócalo, schauten sich den Platz und die aztekischen Ausgrabungen an, die wie Lilien auf einem Stück Brachland emporragten, wie El Cerdo sich ausdrückte, steinerne Blumen inmitten anderer steinerner Blumen, ein Durcheinander, das sicherlich zu nichts führte, außer zu noch mehr Durcheinander, sagte El Cerdo, während er und der Deutsche durch die Seitenstraßen des Zócalo bis zur Plaza de Santo Domingo liefen, wo sich tagsüber unter den Arkaden die Schreiber mit ihren Schreibmaschinen postierten und Briefe oder Bittschriften bürokratischen und rechtlichen Inhalts abfassten. Anschließend fuhren sie weiter zum Engel auf dem Reforma-Platz, aber in dieser Nacht war der Engel nicht angestrahlt, und El Cerdo konnte, während sie um die Anlage herumfuhren, dem Deutschen, der durch das offene Wagenfenster hinaufschaute, nur von ihm erzählen.
    Um fünf Uhr morgens kehrten sie ins Hotel zurück. El Cerdo wartete eine Zigarette rauchend in der Lobby. Als der Alte aus dem Aufzug trat, hatte er nur einen Koffer bei sich und trug immer noch das graue Hemd und die Jeans. Die Hauptstraßen zum Flughafen waren leer, und El Cerdo überfuhr mehrere rote Ampeln. Er suchte angestrengt nach einem Gesprächsthema, aber vergeblich. Er hatte ihn bereits während des Essens gefragt, ob er früher schon einmal in Mexiko gewesen sei, und der Alte hatte verneint, was er eigenartig fand, da die meisten europäischen Schriftsteller doch schon irgendwann Mexiko bereist hatten. Aber der Alte sagte, er sei zum ersten Mal hier. In Flughafennähe nahmen die Autos zu, und der Verkehr wurde stockend. Als sie ins Parkhaus fuhren, wollte der Alte sich verabschieden, doch El Cerdo bestand darauf, ihn zu begleiten.
    »Geben Sie mir Ihren Koffer«, sagte er.
    Der Koffer hatte Rollen und wog nicht viel. Der Alte flog von DF nach Hermosillo.
    »Hermosillo?«, sagte Espinoza. »Wo liegt das?«
    »Im Bundesstaat Sonora«, sagte El Cerdo. »Hermosillo ist die Hauptstadt von Sonora, im Nordwesten Mexikos, an der Grenze zu den Vereinigten Staaten.«
    »Was werden Sie in Hermosillo tun?«, fragte El Cerdo.
    Der Alte zögerte kurz, bevor er antwortete, als hätte er ganz vergessen zu sprechen.
    »Kennenlernen«, sagte er.
    Obwohl El Cerdo sich nicht sicher war. Vielleicht hatte er lernen und nicht kennenlernen gesagt.
    »Hermosillo?«, sagte El Cerdo.
    »Nein, Santa Teresa«, sagte der Alte. »Kennen Sie das?«
    »Nein«, sagte El Cerdo, »ich war vor längerer Zeit einige Male in Hermosillo, um Vorträge über Literatur zu halten, aber nie in Santa Teresa.«
    »Ich glaube, es ist eine große Stadt«, sagte der Alte.
    »Ziemlich groß, ja«, sagte El Cerdo. »Es gibt Fabriken, und es gibt Probleme. Ich glaube, es ist kein schöner Ort.«
    El Cerdo zückte seinen Ausweis und konnte den Alten bis zum Flugsteig begleiten. Bevor sie sich trennten, gab er ihm seine Karte. Eine Karte A.
    »Wenn es irgendein Problem gibt, Sie wissen schon«, sagte er.
    »Vielen Dank«, sagte der Alte.
    Dann schüttelten sie einander die Hand, und er sah ihn nie wieder.
    Sie beschlossen, niemandem zu sagen, was sie wussten. Wer schwieg, folgerten sie, verriet niemanden, sondern handelte mit der nötigen Umsicht und Diskretion, die die Sache verdiente. Sie wurden sich rasch einig, dass es besser war, keine voreiligen Erwartungen zu wecken. Borchmeyer zufolge wurde Archimboldi in diesem Jahr erneut als Anwärter auf den Nobelpreis gehandelt. Im Jahr zuvor hatte sein Name auch schon auf den entsprechenden Wettlisten gestanden. Falsche Erwartungen. Dieter Hellfeld zufolge habe sich ein Mitglied der schwedischen Akademie, oder der Sekretär eines Mitglieds der schwedischen Akademie, mit seiner Verlegerin in Verbindung gesetzt, um wegen der Einstellung des Schriftstellers zu einer möglichen Auszeichnung vorzufühlen. Was konnte ein Mann von über achtzig Jahren sagen? Welche Bedeutung konnte der Nobelpreis für

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