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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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dort nahmen sie die Bundesstraße 83 bis zum Highway 10, über den sie direkt nach Tucson gelangten. Am Flughafen blieb ihnen sogar noch Zeit, einen Kaffee zu trinken und zu besprechen, was sie tun wollten, wenn sie sich in Europa wiederträfen. Dann musste Norton einchecken, und eine halbe Stunde später war ihre Maschine auf dem Weg nach New York, wo sie Anschluss an eine andere Maschine hatte, die sie nach London brachte.
    Auf dem Rückweg nahmen sie den Highway 19, der bis Nogales führte, bogen jedoch kurz hinter Río Rico ab und folgten dem Grenzverlauf auf der Seite von Arizona bis nach Lochiel, wo sie wieder nach Mexiko einreisten. Sie hatten Hunger und Durst, machten aber nirgends halt. Um siebzehn Uhr waren sie wieder im Hotel, und nachdem sie geduscht hatten, gingen sie hinunter, um ein Sandwich zu essen und Amalfitano anzurufen. Dieser sagte, sie sollten sich nicht von der Stelle rühren, er werde sich ein Taxi nehmen und in weniger als zehn Minuten bei ihnen sein. Wir haben keine Eile, sagten sie.
    Von diesem Moment an schien die Wirklichkeit für Pelletier und Espinoza wie eine Papierkulisse zu zerreißen, und als sie fiel, wurde sichtbar, was sich dahinter verbarg: Eine Landschaft, aus der es qualmte, als würde jemand, vielleicht ein Engel, für eine unsichtbare Menschenmenge Hunderte von Barbecues anfachen. Sie standen nicht länger früh auf, sie aßen nicht länger im Hotel zwischen nord amerikanischen Touristen, sondern orientierten sich in Richtung Innenstadt, wo sie sich für ihr Frühstück (Bier und pikante Chilaquiles) dunkle Lokale suchten, Lokale mit großen Fensterfronten, auf denen die Kellner mit weißer Farbe die Mittagsgerichte anschrieben. Abends aßen sie, wo es sich gerade ergab.
    Sie nahmen den Vorschlag des Rektors an und hielten je eine Vorlesung zur Gegenwartsliteratur in Frankreich und in Spanien, die mehr einem Gemetzel als Vorlesungen glichen und immerhin den Vorteil besaßen, ihre Zuhörer - in der Mehrheit junge Leute, die Michon und Rolin respektive Marías und Vila-Matas lasen - das Fürchten zu lehren. Und sie leiteten, diesmal zu zweit, das Oberseminar zu Benno von Archimboldi, in einer Gemütsverfassung, die weniger der von Metzgern als der von Kuttlern oder Flecksiedern entsprach, doch etwas, das man zunächst nicht erkennen konnte, etwas, das still und leise eine nicht zufällige Begegnung heraufbeschwor, zügelte ihren Elan: Unter den Teilnehmern waren, Amalfitano nicht eingerechnet, drei junge Archimboldi-Leser, die ihnen fast die Tränen in die Augen trieben. Einer von ihnen, der Französisch sprach, hatte sogar eine von Pelletiers Übersetzungen dabei. Nun, Wunder gab es immer wieder. Der Buchhandel via Internet funktionierte. Trotz des Verschwindens von Menschen und menschlicher Schuld blieb die Kultur lebendig, in ständigem Wandel, wie sie bald feststellen konnten, als die drei jungen Archimboldi-Leser nach Ende des Seminars auf ausdrücklichen Wunsch von Pelletier und Espinoza in den Festsaal der Universität kamen, wo ein Gelage oder besser gesagt ein Cocktail oder vielleicht ein Cocktailchen oder möglicherweise einfach ein kleiner Umtrunk zu Ehren der illustren Seminarleiter stattfand, bei dem man sich mangels besserer Gesprächsthemen darüber unterhielt, wie gut doch die Deutschten schrieben, alle, und über die historische Bedeutung von Universitäten wie der Sorbonne oder Salamanca, an denen zum Erstaunen unserer Kritiker zwei der Professoren (von denen einer Römisches Recht und der andere Strafrecht des zwanzigsten Jahrhunderts lehrte) studiert hatten. Später nahm Dekan Guerra sie beiseite und ließ ihnen durch eine Sekretärin der Verwaltung ihre Schecks überreichen. Kurz darauf nutzten sie die Ohnmacht einer Professorengattin, um sich heimlich aus dem Staub zu machen.
    Begleitet wurden sie von Amalfitano, der solche Feste hasste, sie jedoch von Zeit zu Zeit über sich ergehen lassen musste, und den drei Archimboldi-Studenten. Erst einmal fuhren sie zum Essen in die Innenstadt, dann drehten sie eine Runde durch die Straße, die niemals schlief. Obwohl der Mietwagen ziemlich groß war, mussten sie eng zusammenrücken, und die Passanten auf den Bürgersteigen sahen sie neugierig an, so wie sie jeden in der Straße ansahen, bis sie Amalfitano und die drei Studenten eingezwängt auf der Rückbank entdeckten, und da wendeten sie eilig den Blick ab.
    Sie betraten eine Bar, die einer der Studenten kannte. Die Bar war groß und hatte auf der Rückseite

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