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und ging hinunter zu Amalfitano.
Als Espinoza seine Mails abfragen ging, kam er mit. Er blieb hinter ihm stehen, bis er sehen konnte, dass eine von Norton dabei war, und als er das festgestellt hatte, überzeugt, dass darin das Gleiche stand wie in seiner, setzte er sich ein paar Schritte vom Computer entfernt in einen Sessel und blätterte in einer Tourismusbroschüre. Von Zeit zu Zeit hob er den Kopf und sah zu Espinoza hinüber, der keine Anstalten machte, den Platz vor dem Computer zu räumen. Gern hätte er ihm die Hand auf die Schulter oder in den Nacken gelegt, aber er beschloss, sich nicht zu rühren. Als Espinoza sich zu ihm umdrehte, sagte Pelletier, er habe auch eine bekommen.
»Ich kann es nicht glauben«, sagte Espinoza tonlos.
Pelletier warf die Zeitschrift auf den Glastisch und trat an den Computer, wo er rasch Nortons Brief überflog. Ohne sich hinzusetzen, tippte er mit einem Finger etwas ein, rief seine eigenen Mails auf und zeigte Espinoza den Brief, den er bekommen hatte. Mit größter Sanftheit forderte er ihn auf, ihn zu lesen. Espinoza wandte sein Gesicht wieder dem Bildschirm zu und las wiederholte Male Pelletiers Brief.
»Es gibt fast keine Unterschiede«, sagte er.
»Und wenn schon «, sagte der Franzose.
»Zumindest so zartfühlend hätte sie sein können«, sagte Espinoza.
»Zartgefühl besteht in solchen Fällen darin, überhaupt zu schreiben«, sagte Pelletier.
Als sie auf die Terrasse traten, saß dort fast niemand mehr. Ein Kellner in weißem Jackett und schwarzer Hose räumte die Gläser und Flaschen von den leeren Tischen. Ganz außen an der Brüstung saß ein Pärchen, beide nicht älter als dreißig, und betrachtete Hand in Hand die stille, in tiefes Dunkelgrün gehüllte Hauptstraße. Espinoza fragte Pelletier, woran er denke.
»An sie«, sagte Pelletier, »woran sonst.«
Dann sagte er noch, es sei doch seltsam oder trage zumindest gewisse Züge von Seltsamkeit, dass sie ausgerechnet hier wären, in diesem Hotel, in dieser Stadt, jetzt, da Norton endlich ihre Entscheidung getroffen hatte. Espinoza sah ihn lange an und sagte dann mit einem Ausdruck der Verachtung, er fühle sich zum Kotzen.
Tags darauf fuhr Espinoza wieder zum Kunsthandwerksmarkt und fragte das Mädchen nach ihrem Namen. Sie sagte, sie heiße Rebeca, und Espinoza lächelte, weil der Name, wie er fand, großartig zu ihr passte. Drei Stunden lang stand er da und plauderte mit Rebeca, während Touristen und Neugierige von einem Marktende zum anderen bummelten und lustlos die Waren beschauten, als würde jemand sie dazu zwingen. Nur zweimal näherten sich Kunden dem Stand von Rebeca, aber beide Male gingen sie weiter, ohne etwas zu kaufen, und Espinoza stand betreten da, denn in gewisser Weise schrieb er Rebecas kommerziellen Misserfolg sich und seinem hartnäckigen Verweilen an ihrem Stand zu. Er beschloss, den Schaden wiedergutzumachen, indem er kaufte, wovon er annahm, dass andere es sonst gekauft hätten. Er wählte einen großen und zwei kleine Teppiche, einen Sarape, in dem Grün überwog, einen anderen, in dem Rot überwog, und eine Art Rucksack aus dem gleichen Material und mit den gleichen Motiven wie die Sarapes. Rebeca fragte ihn, ob er bald wieder in seine Heimat führe, und Espinoza lächelte und sagte, er wisse es noch nicht. Nachher rief das Mädchen einen Jungen, der sich Espinozas sämtliche Einkäufe auf den Rücken lud und ihn zu seinem geparkten Wagen begleitete.
Rebecas Stimme, mit der sie den Jungen rief (der aus dem Nichts oder aus der Menge auftauchte, was auf dasselbe hinauskam), ihr Tonfall, die ruhige Autorität, die aus ihrer Stimme sprach, ließen Espinoza erschauern. Während er hinter dem Jungen herging, bemerkte er, dass die meisten Händler ihre Waren einpackten. Beim Wagen angekommen, verstauten sie die Teppiche im Kofferraum, und Espinoza fragte den Jungen, seit wann er mit Rebeca zusammenarbeite. Rebeca ist meine Schwester, sagte er. Sie sehen sich aber gar nicht ähnlich, dachte Espinoza. Dann betrachtete er den Jungen, der ziemlich klein war und doch kräftig zu sein schien, und gab ihm einen Zehndollarschein.
Im Hotel angekommen, traf er Pelletier auf der Terrasse mit einem Buch von Archimboldi. Er fragte ihn, welches Buch er lese, und Pelletier erwiderte lächelnd, er lese Der Heilige Thomas.
»Wie oft hast du das schon gelesen?«, fragte Espinoza.
»Ich habe aufgehört zu zählen, obwohl es zu den Büchern gehört, die ich nicht so oft gelesen habe«, sagte
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