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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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Professor und dem Sohn des Dekans eher sokratischer als homosexueller Natur war, was sie einigermaßen beruhigte, denn unerklärlicherweise hatten sie Amalfitano ins Herz geschlossen.
    Drei Tage lang lebten sie wie in einer Unterwasserwelt. Sie verfolgten im Fernsehen die aberwitzigsten und seltsamsten Nachrichten, lasen Romane von Archimboldi noch einmal und verstanden sie plötzlich nicht mehr, hielten lange Mittagsschlaf, waren nachts auf der Terrasse die Letzten und sprachen über ihre Kindheit, wie sie es nie zuvor getan hatten. Zum ersten Mal fühlten sie sich wie Geschwister oder wie Veteranen eines Sturmkommandos, die das Interesse für die meisten Dinge verloren hatten. Sie betranken sich und standen spät auf, und nur selten ließen sie sich von Amalfitano überreden, einen Spaziergang durch die Stadt zu unternehmen und städtische Sehenswürdigkeiten zu besuchen, die einen mutmaßlichen deutschen Touristen vorgerückten Alters hätten reizen können.
    Und tatsächlich nahmen sie an dem Barbecue teil, wobei ihr Auftreten gemessen und behutsam war wie das dreier Astronauten, die gerade auf einem gänzlich unbekannten Planeten gelandet sind. Im Innenhof, wo das Barbecue stattfand, sahen sie zahlreiche rauchende Löcher. Die Professoren der Universität von Santa Teresa bewiesen ein ungewöhnliches Talent für ländliche Beschäftigungen. Zwei von ihnen lieferten sich ein Pferderennen. Ein anderer sang einen Corrido von 1915. Einige versuchten in einer Koppel wilder Stiere ihr Glück mit dem Lasso, mit unterschiedlichem Erfolg. Als Rektor Negrete erschien - er hatte sich mit einem Mann ins Haupthaus zurückgezogen, der aussah wie der Gutsverwalter -, begann man, das Barbecue auszugraben, und ein Duft von Fleisch und warmer Erde breitete sich als ein dünner Rauchschleier über dem Hof aus, der alle einhüllte wie der Nebel, der den Morden vorausgeht, und der sich auf geheimnisvolle Weise verflüchtigte, als die Frauen die Teller auf die Tische stellten, dabei aber sein Aroma an Haut und Kleidern hinterließ.
    In der Nacht litten die drei, vielleicht als Folge des Barbecues oder der reichlich genossenen Getränke, unter Alpträumen, an die sie sich nach dem Aufwachen beim besten Willen nicht erinnern konnten. Pelletier träumte von einer Buchseite, die er sich von vorn und hinten und auf jede erdenkliche Weise besah, wozu er mal die Seite und mal den Kopf verdrehte, immer schneller, ohne ihr jedoch irgendeinen Sinn abgewinnen zu können. Norton träumte von einem Baum, einer englischen Eiche, die sie aushob und in der Flurlandschaft hierhin und dorthin setzte, ohne einen Platz zu finden, der sie völlig zufriedenstellte. Mal besaß die Eiche überhaupt keine Wurzeln, dann wieder ringelten sich unter ihr Wurzeln lang wie Schlangen oder Gorgonenhaar. Espinoza träumte von einem Mädchen, das Teppiche verkaufte, und das Mädchen zeigte ihm viele Teppiche, einen nach dem anderen, unaufhörlich. Ihre dünnen, dunklen Arme hielten keine Sekunde still, und das hinderte ihn daran, zu sprechen, hinderte ihn daran, ihr etwas Wichtiges zu sagen, sie bei der Hand zu nehmen und von dort wegzubringen.
    Am nächsten Morgen kam Norton nicht zum Frühstück herunter. Sie riefen sie auf ihrem Zimmer an, dachten, es ginge ihr schlecht, aber Norton versicherte ihnen, sie habe bloß Lust zu schlafen, sie sollten ohne sie planen. In trüber Stimmung warteten sie auf Amalfitano und fuhren dann mit dem Auto in den Nordosten der Stadt, wo gerade ein Zirkus sein Zelt aufschlug. Amalfitano zufolge gab es in dem Zirkus einen deutschen Zauberkünstler namens Doktor Koenig. Er hatte letzte Nacht davon erfahren, als er vom Barbecue heimkehrte und auf DIN-A4-große Werbezettel stieß, die jemand mühevoll in allen Vorgärten des Viertels angeschlagen hatte. Am nächsten Tag sah er an der Ecke, wo er auf den Bus zur Universität wartete, an einer himmelblauen Hauswand ein buntes Plakat, auf dem die Stars des Zirkus angekündigt wurden. Unter ihnen war auch der deutsche Zauberer, und Amalfitano dachte, hinter diesem Doktor Koenig könne sich vielleicht Archimboldi verbergen. Nüchtern betrachtet eine abstruse Idee, dachte er, aber die Laune der Kritiker war so am Boden, dass es ihm angebracht schien, einen Besuch im Zirkus vorzuschlagen. Als er den Kritikern das erzählte, sahen die ihn an wie Lehrer den Klassendümmsten.
    »Warum sollte Archimboldi in einem Zirkus arbeiten?«, sagte Pelletier als sie schon im Auto saßen.
    »Keine Ahnung«,

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