27 - Im Lande des Mahdi I
mich nicht! Du hast doch auch gestanden, daß du gebrüllt und geschrien hast.“
„Ich war allein; jetzt aber sind wir zu dreien.“
Selim wollte zornig antworten; ich gebot ihm Schweigen, denn ich untersuchte die Mauer, indem ich an dieselbe klopfte, um vielleicht eine hohle Stelle zu entdecken. Es gab keine. Und nun wurde hier unten die Luft von Augenblick zu Augenblick schlechter. Es war schon deshalb geraten, nach oben zu steigen, und außerdem war dort mehr Hoffnung, einen verborgenen Weg zu entdecken.
„Wie aber soll ich von hier fort?“ fragte Ben Nil. „Ich bin so schwach, daß ich nicht steigen kann.“
„Wir ziehen und tragen dich.“
Ich band ihm den Strick um den Leib. Das andere Ende bekam Selim um den seinigen geschlungen; er mußte voransteigen. Ich nahm Ben Nil so, daß er auf meinen Schultern ritt, so wie ich es mit dem dicken Haushofmeister gemacht hatte; so hob und schob ich ihn, indem ich emporstieg; Selim zog an dem Strick; auf diese Weise gelangten wir ohne Anstrengung in das vorherige Gemach. Welch ein Glück, daß wir mit Fackeln versehen waren und dem Fakir keine davon gegeben hatten! Die zweite war allerdings beinahe abgebrannt; aber wir hatten ja noch vier. In dem erwähnten Raum angekommen, machte ich mich sofort wieder über die Stelle her, von welcher ich vorher den Sand entfernt hatte. Selim mußte jetzt helfen, während Ben Nil die Fackel hielt. Wir hatten noch nicht fünf Minuten gearbeitet, so begann das waagrechte Loch, welches wir gruben, sich mit Mauerwerk zu umgrenzen.
„Allah ist groß!“ rief Selim. „Das ist doch ein Gang!“
„Es scheint so“, antwortete ich.
„Effendi, woher hast du das gewußt?“
„Gewußt nicht, aber erraten habe ich es. Die Luft ist hier so erträglich, daß ich sofort überzeugt war, diese Kammer müsse mit der Außenwelt in Verbindung stehen, und dies hier ist die einzige Stelle, an der es kein Mauerwerk gab; folglich grub ich hier nach.“
„Ja, es ist ein Gang!“ wiederholte Selim, indem er aus Leibeskräften weiter wühlte. „Ein gemauerter Gang, dessen Decke an dieser Stelle eingestürzt ist. Der Sand ist nachgebrochen. O Allah, wenn dieser Gang nicht ganz eingestürzt wäre!“
„Wäre er ganz verschüttet, so hätten wir eine viel schlechtere Luft.“
„So glaubst du, daß wir uns retten werden?“
„Ich habe noch keinen Augenblick daran gezweifelt. Hinaus müssen wir auf alle Fälle, wenn nicht hier dann anderswo. Dieser Fakir ist nicht der Mann, uns hier festzuhalten. Er ahnt nicht, welche Mittel einem denkenden und energischen Mann zu Gebot stehen. Grabe weiter!“
„Ja, grabt, grabt; ich will beten!“ bat Ben Nil. „Und sollten wir erlöst werden, dann wehe denen, durch deren Hinterlist wir hier eingeschlossen wurden.“
„Ich zermalme diesen Fakir!“ knirschte Selim, indem er den Sand handvoll hinter sich warf. „Sind wir nur erst hinaus!“
„Wir kommen hinaus“, antwortete ich. „Ich glaube sogar die Stelle zu wissen, an welcher wir das Freie erreichen.“
„Das ist zu kühn gesprochen, Effendi.“
„Nicht zu kühn. Weißt du, wie hoch der Hügel ungefähr ist?“
„Nein.“
„Und wie tief wir uns im Innern befinden?“
„Auch nicht.“
„Nun, wir sind bis hierher fünfzig Löcher herabgestiegen, und ich schätze, daß wir uns auf der Grundfläche des Bergkegels befinden. Wir sind wenig tiefer, als die Wüste draußen liegt. Jetzt graben wir nach der Südseite des Hügels. Was befindet sich dort, Selim?“
„Ich weiß nicht, was du meinst.“
„Denke doch an das Loch, in welches der Haushofmeister stürzte!“
„Allah, Wallah, Tallah! Meinst du etwa, daß –?“
Er hielt inne und sprach den Satz vor Überraschung nicht aus.
„Freilich meine ich es!“
„Nämlich, daß wir von hier aus in jenes Loch gelangen?“
„Ich bin beinahe überzeugt davon. Es ist zwar hier vom Innern aus nicht genau zu bestimmen, aber ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich annehme, daß dieser Gang, falls er nicht von der geraden Richtung abweicht, derjenige ist, in welchen der Haushofmeister einbrach. Arbeiten wir weiter!“
Zunächst war der Gang vollständig mit Sand gefüllt; als wir ihn aber auf ungefähr zwei Ellen frei gemacht hatten, lag er leer vor uns. Ich kroch mit der Fackel hinein, um ihm zu folgen. Er hatte genau die Höhe und Breit der Ausmauerung des Loches, aus welchem wir den dicken Schwarzen emporgeholt hatten, ein Umstand, welcher mich in meiner vorhin ausgesprochenen
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