27 - Im Lande des Mahdi I
lauft, sonst zerdrücken wir euch zwischen den Fingern unserer Hände! Ich bin der erste der Krieger und der oberste der Helden. Lauft, sonst seid ihr verloren!“
Er hätte noch nicht aufgehört zu brüllen; ich rief ihn aber, und er kam an den Rand des Loches. Wie er ohne Hilfe aus der Tiefe der Grube da hinaufgekommen war, das konnte ich nicht begreifen.
„Du sollst doch still sein und dich nötigenfalls verbergen!“ zürnte ich ihm. „Was hast du denn zu schreien?“
„Soll ich diesen Hundesöhnen nicht sagen, was ich von ihnen denke?“ antwortete er.
„Welchen Hundesöhnen?“
„Dem Fakir und dem Gaukler. Sie laufen nach der Stadt, so schnell sie ihre Füße bewegen können.“
„Wie bist du denn aus dem Loch gekommen?“
„Mit meinen Armen und Beinen. Sind dieselben eben nicht lang genug?“
„Das sind sie freilich; aber ich wünschte, daß du unter geblieben wärest.“
„Effendi, was sollte ich dort unten! Ich gedachte dieser Halunken, und da kam ein Ingrimm und eine Wut über mich, welche nicht zu zähmen waren. Meine Tapferkeit übermannte mich, und ich kletterte aus dem Loch, welches meines Mutes nicht würdig war. Eben stand ich oben, da sah ich die beiden kommen.“
„Woher?“
„Vom Berg herab. Ich brüllte sie wütend an, und sie erschraken so, daß ihre Füße die Schnelligkeit der Gazellen erhielten. Du kannst sie noch laufen sehen.“
„Halte schnell den Strick! Ich muß sie allerdings sehen.“
Ich warf ihm das eine Ende des Strickes zu und turnte mich an dem andern empor. Ja, dort liefen die beiden, was sie nur laufen konnten. Sie waren so weit fort, daß man sie nun nicht mehr einholen konnte. Dieser Selim hatte wieder einmal alles verdorben. Darum fuhr ich ihn zornig an:
„Daran bist du schuld, du alter, unverbesserlicher Schwatzstorch! Hättest du den Schnabel gehalten, so wären diese beiden Menschen in unsere Hände gefallen, und wir hätten sie bestrafen lassen können.“
„Das kann ja auch noch geschehen! Wir werden sie fangen, sobald wir nach Siut kommen.“
„Sie werden sich nicht dorthin setzen. Und du bist am allerwenigsten der Mann dazu, solche Leute zu fangen.“
„Ich? Effendi, du verkennst mich schon wieder. Ich bin der Mann, der jeden gefangen nimmt, wenn er nur will.“
„Nun, warum hast du da diese beiden nicht festgehalten?“
„Weil – weil – weil ich nicht wollte“, stotterte er verlegen.
„Ah, du hast nicht gewollt!“
„Ja. Ich durfte euch doch nicht im Stich lassen. Was wäret ihr ohne mich gewesen! Diese Kerle aber liefen so schnell davon, daß ich, wenn ich sie hätte gefangennehmen wollen, unter Jahr und Tag nicht zu euch zurück hätte kehren können.“
„Wo waren sie denn, als du sie erblicktest?“
„Ich stieg eben aus dem Loch, da kamen sie vom Hügel herab. Als sie mich sahen, blieben sie stehen und staunten mich an; da brüllte ich ihnen zornig entgegen, und sie liefen voller Angst eiligst davon.“
„Da hat ein Hase Angst vor dem andern gehabt.“
„Vor dem andern? Zweifelst du etwa, daß ich Mut besitze?“
„Allerdings. Du hast dich vor dem Loch gefürchtet, darum bist du aus demselben gestiegen. Und dann hast du, als du die beiden Männer erblicktest, sie vor lauter Angst angebrüllt. Daß sie da das Weite gesucht haben, ist das Köstlichste an der ganzen Geschichte. Wären sie besonnener gewesen, so hätte es dir und uns schlechtgehen können. Mit dir wären sie schnell fertig gewesen, und wäre dann ich gekommen, so hätte ich, der ich unten im Loch stand, gegen sie, welche oben standen, so gut wie nichts machen können.“
„Was? Sie wären schnell mit mir fertig gewesen? Effendi, ich wollte, sie wären gekommen. Ich hätte sie zwischen meinen Händen zu Mehl zerrieben. Übrigens sind sie uns auch jetzt noch sicher. Wenn wir sie bei der Polizei anzeigen, so –“
„So hört uns die Polizei an und legt dann die Hände in den Schoß“, unterbrach ich ihn.
„So gehe zu deinem Konsul! Es ist ja einer da!“
„Fällt mir auch nicht ein. Mit einer Angelegenheit, welche ich selbst erledigen kann, belästige ich keinen andern. Gib jetzt den Strick hinab; wir wollen unsern Ben Nil heraufziehen!“
Ben Nil schlang sich den Strick unter den Armen hindurch und stand dann bald neben uns. Nun, da an seiner Rettung nicht mehr gezweifelt werden konnte, sank er abermals in die Knie, um zu beten. Die Sonne brannte heiß hernieder, aber dennoch kam uns die Luft so erquickend, so balsamisch vor. Jetzt
Weitere Kostenlose Bücher