27 - Im Lande des Mahdi I
Es ist dies das größte Wagnis, welches er bisher unternommen hat. Wenn entdeckt wird, daß er es war, treten nicht nur die weltlichen Richter, sondern auch die Religionslehrer gegen ihn auf, und dann kann es ihm schlimm ergehen.“
„Es wird nichts verraten werden. Unsere Leute erhalten einen so guten Anteil, daß keiner von ihnen den Mund öffnet, um den Anführer zu bezeichnen. Einer unserer Abnehmer in Stambul bat um Araberinnen. Er schrieb, Negerinnen seien zu häßlich, und die Cirkassierinnen ständen jetzt nicht in der Mode. Araberinnen hat man noch nicht in den Handel gebracht, und da die Töchter der Wüste etwas so seltenes sind, stand ein sehr lohnendes Geschäft zu erwarten.“
„Nach Stambul also! Welchen Weg werdet ihr nehmen?“
„Wir sind durch das Wadi Melk und Wadi el Gab gekommen, bei der Insel Argo über den Nil gegangen und wollen nun nach dem Vorgebirge Rauai, Dschidda gegenüber. Dort wird das Schiff unseres Abnehmers anlegen und die Ware in Empfang nehmen.“
Diese Worte bestätigten auf das genaueste meine Vermutungen. Gegen sechzig Sklavinnen! Und darüber ging der alte Fakir mit der größten Ruhe hinweg. Wie hatte mir in Maabdah und Siut sein ehrwürdiges Gesicht gefallen. Er wurde als Heiliger verehrt und war doch ein Scheusal. Ein Fakir, ein Marabut, und doch billigte er ohne den geringsten Vorbehalt den Raub von sechzig Mohammedanerinnen! Da steckte ein Teufel in der Maske eines Heiligen.
„Jetzt aber die Hauptsache“, fuhr er fort. „Mein Sohn ist doch bei euch?“
„Ja. Er reitet mit bis Ras Rauai, um dort das Geld in Empfang zu nehmen.“
„Nach dem Bir Murat kommt er nicht?“
„Nein, denn er soll am allerwenigsten gesehen werden. Du weißt, daß wir einige geheime Brunnen in der Wüste haben; das erleichtert es uns, unbemerkt zu bleiben. Aber sechzig Sklavinnen, fünfzig Begleiter und die dazugehörigen Tiere bedürfen viel Wasser. Dennoch hätten wir uns nicht hierher zu wenden brauchen, wenn unser letzter geheimer Brunnen nicht von anderen entdeckt und geleert worden wäre.“
„Wie kann man einen solchen Brunnen entdecken?“
„Auch ich habe es für sehr schwierig gehalten. Der Zufall muß diesem Christenhund günstig gewesen sein.“
„Einem Christen? Du hast einen Giaur in der Wüste am Brunnen getroffen?“
„Einen verfluchten Schakal mit seinen Begleitern. Aber dieser Schakal war nicht feig, sondern verwegen wie ein hungriger Panther. Er hat uns nicht nur die beiden Gefangenen, sondern auch alles, was wir nicht auf dem Leib trugen abgenommen.“
„Ich verstehe dich nicht; ich entnehme aus deiner Rede nur, daß euch ein seltsamer Unfall widerfahren ist. Erzähle also, was geschehen ist!“
Malaf gehorchte. Er hielt sich ganz genau an die Wahrheit und sagte kein Wort zu wenig oder zu viel. Er stellte meine Unerschrockenheit ins Licht, freilich nicht aus Gerechtigkeit, sondern aus Klugheit. Je höher er mich emporhob, desto geringer wurde die Veranlassung, ihm Vorwürfe zu machen. Ibn Asl ed Dschasuhr war an dem heimlichen Brunnen angekommen und hatte dort kein Wasser gefunden. Darum hatte er Leute mit Kamelen und Schläuchen nach dem Bir Murat gesandt, und diese waren auf Malaf und dessen Begleiter getroffen. Nun wollten sie hier schöpfen und mit Anbruch des Morgens fortziehen.
Die beiden Zuhörer hatten den Erzähler nicht unterbrochen; jetzt fragte Murad Nassyr:
„Wie viele Männer hatte der Giaur bei sich?“
„Zwei.“
„Wer waren sie? Woher kamen sie, und wo wollten sie hin?“
„Auch das kann ich nicht sagen, denn die Schurken haben keine meiner Fragen beantwortet.“
„Sollte es der deutsche Giaur gewesen sein? Beschreibe ihn und die beiden anderen einmal genau!“
Malaf kam dieser Aufforderung nach; er beschrieb erst den Leutnant, dann Ben Nil und endlich mich.
„Er ist's, er ist's!“ rief der Fakir aus, und der Türke stimmte ihm bei. „Es kann kein anderer sein; ein Irrtum ist unmöglich. Und die beiden anderen waren Ben Nil und der Lieutenant des Raïs Effendina. Da fehlt aber Selim. Wo mag er geblieben sein?“
„Die Frage ist sehr leicht zu beantworten“, meinte Murad Nassyr. „Selim ist ausgerissen; er hat sich versteckt. Der Halunke nennt sich den obersten der Helden und ist doch der größte Feigling, den man sich denken kann.“
„Sollte er sich wirklich in der Nähe befunden haben?“
„Ganz gewiß, denn sein Kamel war ja da und ist mit erbeutet worden. Nur der Deutsche war abwesend, ist später an den
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