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27 - Im Lande des Mahdi I

27 - Im Lande des Mahdi I

Titel: 27 - Im Lande des Mahdi I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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geworden, und ich konnte binnen fünf Minuten so weit kriechen, daß ich mich dann erheben und aufrecht gehen durfte.
    Bald lag das Tal des Brunnens hinter mir, und ich trat in die Schlucht ein. Da war kein Lauscher zu erwarten, aber dennoch beobachtete ich dieselbe Vorsicht wie bisher. Die Sterne funkelten am Himmel; hier in der Tiefe aber war es stockdunkel. Indem ich lautlos vorwärts ging, drang ein schwaches Geräusch an mein Ohr, es kam von vorn und war über mir. Ich blieb stehen und lauschte. Tiefe Stille rings umher, wohl fünf Minuten lang. Ich schlich also weiter. Da rollte ein Steinchen von oben herunter; mehrere folgten; dann schien eine Gerölllawine loszubrechen.
    „Allah kerihm!“ kreischte eine Stimme.
    Das Gepolter wurde ärger; ich mußte zur Seite springen, um von dem Gestein nicht getroffen zu werden, gelangte aber aus dem Regen in die Traufe, den etwas Großes, Schweres, aber nicht so Hartes wie ein Stein krachte auf mich nieder und riß mich zu Boden. Ich wollte schnell wieder auf, mußte mir aber Zeit nehmen. Ich war an Kopf und Schulter schwer getroffen worden und fühlte in der letzteren einen lähmenden Schmerz. Vor mir lag das lange, dunkle Ding, welches auf mich herabgesaust war. Ich streckte die Hand aus, um es zu betasten, und fühlte eine Nase. Also ein Mensch! Wer war der Mann? Er bewegte sich nicht. War er tot oder nur ohnmächtig? Ich nahm ihn beim Kopf, um nach der Schläfenschlagader zu fühlen; diese Berührung war von unerwartetem Erfolg; der Mann schrie laut, sprang auf und rannte fort. Glücklicherweise nicht nach dem Brunnen, sondern nach der entgegengesetzten Richtung. Ich eilte ihm natürlich nach. Die Sprünge welcher er mit seinen langen Beinen machte, schienen echt ‚Selimsche‘ zu sein. Da strauchelte er über einen Stein und stürzte nieder, sofort warf ich mich auf ihn und hielt ihm die Kehle zu, damit er nicht schreien könne. Er regte sich nicht und wehrte sich nicht; ich betastete sein Gesicht, da es hier zu dunkel war, als daß ich seine Züge mit dem Auge hätte erkennen können. Richtig, ich hatte mich nicht geirrt. Ich nahm die Hand von seinem Hals und gebot ihm:
    „Sprich leise, Selim! Bist du verletzt?“
    Beim Klang meiner Stimme sprang er schnell wieder auf und antwortete:
    „Du selbst bist es, Effendi? Da brauche ich mich nicht totzustellen!“
    „Wo kommst du her?“
    „Von da oben herunter.“ Er deutete an der Felswand empor.
    „Sage Allah Dank, daß du mich trafst! Ich fühle mich zwar wie zerschlagen, aber wenn du direkt auf das Gestein stürztest, so lägst du jetzt tot oder mit gebrochenen Gliedern da. Was hattest du denn da an der Schlucht zu suchen?“
    „Ich wollte herabklettern, um dich zu retten.“
    „Unsinniger! Ich befand mich ja gar nicht in Gefahr.“
    „Du bliebst so lange weg, und da wurde man besorgt um dich. Als tapferster Held der Helden schlich ich mich natürlich fort, um dich zu befreien. Im Herabsteigen rutschte plötzlich der Boden unter meinen Füßen weg, und infolgedessen kam ich viel rascher herab, als es in meiner Absicht liegen konnte.“
    „Das ist nun wieder einer deiner Streiche. Befände ich mich wirklich in Gefahr, so wärst du der allerletzte, der mich retten könnte.“
    „Aber, Effendi, ich bin ja zu solchen Taten geboren!“
    „Das brauchst du mir erst gar nicht zu versichern; ich weiß auch ohne das und schon längst, daß du nur für unsinnige Streiche im Buch des Kismet verzeichnet stehst. Du könntest aber mir und uns allen den größten Schaden bereiten! Aber ich habe Eile und also keine Zeit zum Zanken; kannst du steigen?“
    „Ja, das Steigen ist mir angenehmer als das Fallen.“
    „So folge eng hinter mir. Ich bin hier herab; diese Stelle ist am leichtesten zu passieren.“
    Ich wäre schnell hinaufgekommen; aber dieser Schleuderer der Knochen war zwar ein schneller Läufer, jedoch ein desto schlechterer Kletterer, ich zog ihn mehr, als daß er stieg, und als wir endlich oben anlangten, mußte ich stehenbleiben, um Atem zu schöpfen.
    Er hatte eigentlich eine tüchtige Strafrede verdient, aber ich wußte vorher, daß dieselbe erfolglos sein werde; er war unverbesserlich. Seine Anwesenheit wurde zu einer fortgesetzten Gefahr für mich; aber ich hatte ihm versprochen, ihn bei mir zu behalten, und mußte mein Wort halten.
    Dazu kam, daß er sich aus Sorge um mich wirklich in die Schlucht gewagt hatte. Das machte mich irre an ihm. Ich hatte ihn für absolut unheilbar feig gehalten; sollte er

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