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27 - Im Lande des Mahdi I

27 - Im Lande des Mahdi I

Titel: 27 - Im Lande des Mahdi I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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großblockige Fleischmoränen verschwanden hinter seinem mächtigen Gebisse. Ich konnte nicht weiter essen, denn das Zusehen und Bewundern nahm meine ganze Tätigkeit in Anspruch. Der Stallmeister kannte seinen Mann; er beachtete ihn gar nicht und bemühte sich nur, seinem Beispiel zu folgen. So kam es, daß der Reis-Chimborasso immer niedriger und der Hammel immer magerer wurde, bis nur noch die Knochen übrig waren. Da wischte der große Esser sich die Hände an den Hosen ab und sagte, indem er tief aufatmete:
    „Meine Schmerzen sind verschwunden. Dem Propheten sei Lob und Dank gebracht!“
    „So empfindest du die Leere des Magens nicht mehr?“ fragte ich.
    „Nein. Ich hatte ja zu Hause gegessen.“
    „So wird es unserem guten Stallmeister erwünscht sein, daß du ein anderes Mal nippst und hier ißt. Aber, bist du wirklich fertig?“
    „Ja. Oder gibt es denn noch etwas?“
    „Zu essen wohl nicht, denn wir sind vollständig gesättigt. Wo aber bleiben die neun Verbeugungen?“
    „Helft, ihr Kalifen! Die hätte ich fast vergessen. Doch Effendi, warum hast du mir vor dem Essen nur sieben gewöhnliche Verneigungen befohlen, nach demselben aber neun, und diese mit dem Kopf bis zum Boden nieder?“
    „Weil dies die Vorschrift Hischams, des Kalifen ist, in dessen Palast diese Verbeugungen vor und nach dem Essen gemacht werden mußten.“
    „So stehe dieser heilige Hischam mir jetzt bei, daß der Glanz meines Ruhmes nicht das Übergewicht bekommt und auf die Nase fällt!“
    Er stand schwer auf, stellte sich mit dem Gesicht gegen Osten, wo Mekka liegt, und gab sich alle mögliche Mühe, der grausamen Vorschrift Folge zu leisten. Er brachte es unter lautem Ächzen und Stöhnen nur dadurch fertig, daß er, durch die Schwere seines Leibes niedergezogen, allemal auf die Knie zu liegen kam. Das waren so unbeschreibliche Anstrengungen und Bewegungen, daß mir, obgleich ich mich hütete, laut zu lachen, die Tränen über die Wangen liefen, natürlich nicht diejenigen des Schmerzes und der Traurigkeit. Das war die Strafe dafür, daß er mir in das Gesicht gesagt hatte, ich als Christ verschimpfiere das Zimmer mit den Koransprüchen. Aber, aufrichtig gestanden, hatte die Rachsucht weniger Teil daran als der angeborene Schabernack.
    Der Dicke fühlte sich infolge der Anstrengung so ermüdet, daß er erklärte, er müsse unverweilt nach Hause gehen, um zu schlafen. Es stand zu erwarten, daß der Schlaf seinen kranken Magen wieder in den schmerzhaften Zustand versetzen werde, worauf mit Sicherheit ein reichliches Abendmahl folgen mußte. Vielleicht war dann einmal im Wad el Nil (einer arabischen Zeitung) zu lesen, daß er seinen Herrn, den Pascha, arm gegessen und bankrott geschlafen habe. Wir beiden anderen blieben noch eine Weile sitzen, um uns über den vortrefflichen Grauschimmel zu unterhalten. Der Stallmeister fühlte sich ganz glücklich darüber, daß es mir gelungen war, denselben zur Raison zu bringen. Nun war ja alle Hoffnung vorhanden, daß das Pferd auch andere außer mir im Sattel dulden werde. Er gab mir zu, daß ein Christ und Europäer denn doch ein besserer Pferdekenner sein könne als ein Ägypter, und nahm mit Aufmerksamkeit die Lehren entgegen, welche ich ihm in Beziehung auf die Behandlung des Hengstes gab. Da er mich nur im engen Hof in den Bügeln gesehen hatte und ich ihn merken ließ, daß ich ihm nicht nur im Kennen, sondern auch im Können wohl überlegen sei, was er zu bezweifeln schien, so schlug er mir vor, morgen am Vormittag einen Ritt nach der Wüste hinaus zu machen, und ich erklärte mich selbstverständlich bereit dazu. Es mußte ja ein Gaudium sein, mit einem solchen Tier nicht durch, sondern über den Sand zu fliegen und die Geschwindigkeit eines Schnellzuges zu erreichen.
    Die erste Hälfte des Nachmittags war vergangen; die zweite gedachte ich zu einem Spaziergang durch die Stadt zu verwenden, und zwar wollte ich dabei allein sein. Daher lud ich den Stallmeister, welcher wohl gern mitgegangen wäre, nicht zur Begleitung ein. Es war mir bestimmt, dabei eine wichtige Begegnung zu haben, die ich nicht im Traum für möglich gehalten hätte.
    Draußen im vorderen Hof angekommen, wandte ich mich nämlich nicht dem Hafen, sondern der Stadt zu und kam an das weißgetünchte Grab eines Scheiks, bei welchem eine Brücke über den Kanal führte. Eben wollte ich dieselbe betreten, als ich voller Überraschung stehenblieb. Ich erblickte eine sehr lange und sehr schmale, weiß gekleidete Gestalt,

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