27 - Im Lande des Mahdi I
das zu bedeuten hat!“
„Das hat zu bedeuten, daß die Erde zwischen der Sonne und dem Mond steht und nun ihren Schatten auf ihn wirft; dadurch wird er verdunkelt.“
„Zwischen Sonne und Mond? Ihren Schatten? Hast du ihn schon einmal gesehen?“
„Schon wiederholt, und jetzt abermals.“
„Effendi, du bist der Quell der Weisheit und der Brunnen der Wissenschaft; aber von der Sonne und dem Mond und den Sternen darfst du nicht sprechen. Von ihnen verstehst du nichts, gar nichts. Weißt du denn nicht, daß es der Teufel ist, der den Mond verhüllt?“
„Ah! Zu welchem Zweck sollte er das tun?“
„Um uns ein Unglück anzudeuten. Dieses Zeichen ist ein Zeichen des Unheils für alle Welt und außerdem eine ganz besondere Drohung für mich.“
„Für dich? Was hättest du mit dieser Mondfinsternis zu tun?“
„Viel, sehr viel! Siehst du dieses Amulett an meinem Hals? Ich trage es zum Schutz gegen die Mondfinsternisse.“
„Eine Mondfinsternis ist eine ganz natürlich Erscheinung. Und selbst wenn sie gefährlich wäre, könnte ein Amulett dich nicht beschützen.“
„Das sagst du, weil du ein Christ und nicht ein Moslem bist. Was kann ein Christ von dem Mond wissen! Welches ist das Zeichen des Christentums? Ist es nicht das Kreuz?“
„Allerdings.“
„Und das Zeichen des Islam ist der Halbmond. Also müssen wir von dem Mond mehr verstehen als ihr. Das ist doch klar. Oder siehst du das nicht ein?“
Dieses Argument war von seinem Standpunkt aus gar nicht übel, ich konnte ihn nur von diesem Punkt aus schlagen; darum antwortete ich:
„Nein, das sehe ich ganz und gar nicht ein. Ist etwa der Neumond oder Vollmond euer Zeichen?“
„Nein, nur der Halbmond.“
„So sprich meinetwegen von diesem, also von dem ersten oder letzten Viertel; von dem Neumond aber und von dem Vollmond versteht ihr nichts. Und heute ist Vollmond! Na, was sagst du nun?“
Er sah mir betroffen und offenen Mundes in das Gesicht und antwortete dann:
„Effendi, da kann ich dir freilich nicht widersprechen. Den Neumond habe ich überhaupt noch nicht gesehen.“
„So behaupte ja nicht, daß du dich auf den Mond verstehst! Wer noch nicht einmal den Neumond gesehen hat, wie will der über eine Mondfinsternis urteilen? Übrigens ist auch nicht einmal der Halbmond das wirkliche, ursprüngliche Zeichen des Islam.“
„Was denn?“
„Der Säbel, der krumme Säbel Mohammeds. Als euer Prophet im Monat Ramadan des zweiten Jahres der Hedschra den Mekkanern das erste große Treffen lieferte, steckte er seinen Säbel auf eine Stange und ließ dieselbe als Fahne vorantragen; sie führte zum Sieg und wurde von da an als Feldzeichen benutzt. In einem späteren Kampf wurde der Griff des Säbel abgeschlagen, und es blieb nur die krumme Klinge, welche die Gestalt eines Halbmondes darstellte. Dies veranlaßte dann den Kalifen Osman, den Halbmond zum Symbol des Osmanischen Reiches und des Islam zu machen.“
„Allah, Allah! Effendi, du kennst alle Tiefen der Geschichte und alle Geheimnisse der Religionen!“ rief er aus.
„Und auch alle Breiten, Höhen und Tiefen des Mondes!“ fügte ich hinzu. „Er ist 380.000 Kilometer von der Erde entfernt; sein Durchmesser beträgt 3.480 Kilometer, und er ist also fünfzigmal kleiner als die Erde. Sein größter Berg ist 7.200 Meter hoch.“
Da verstummten alle, welche ringsum standen. Da man in Ägypten ebenso wie in der Türkei nach Metern rechnet, so begriffen die Leute die angegebenen Maße; aber daß man diese letzteren überhaupt anzugeben vermag, das glaubten sie nicht. Ihre Blicke richteten sich von dem Mond auf mich. Ein allgemeines Murmeln ließ sich hören; dann rief der Dicke aus:
„Allah lasse dich lange leben und erleuchte deinen Verstand! Beim Leben deines Vaters und bei den Bärten aller deiner Ahnen sage mir, ob du im Ernst redest!“
„Ich scherze nicht.“
Er schüttelte den Kopf und sah mich bedenklich an. Was sollte ich machen? Meine Erklärung zu verstehen, dazu besaßen sie die erforderlichen Vorkenntnisse nicht; ich mußte also den Schwarzen und die andern bei ihrer Meinung lassen. Sie beteten, um sich vor der bösen Wirkung der Finsternis zu bewahren, eine Menge Koransprüche und wehklagten dazwischen so lange, bis dieselbe vorüber war. Dann äußerten sie sich aber nicht etwa froh darüber, sondern sie waren der Meinung, daß die Folgen von jetzt an erst zu sehen sein würden. Der lange Selim wollte sich an mich machen, wohl in der Meinung, daß ich ihn
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