273 - Die Wandlung
Ludmeelas Horizont weit überstiegen. Sie galt als eine der besten Kriegerinnen Mitteleurees, und sie schätzte den Zweikampf und das Götterurteil.
»Binde mich los und ich erlege dir einen Izeekepir. Wie damals. Auch die Eisbestie, die dir das antat, habe ich damals gestellt und getötet. Meine Tat soll dir meine aufrichtige Reue zeigen.«
Ludmeela schüttelte den Kopf. »Nein. Du wirst einem Izeekepir begegnen, aber du sollst hilflos sein wie ich damals. Damit du weißt, wie es sich anfühlt.« Sie schloss die Augen und stieß einen Pfiff aus. Ein prächtiger Gerfalke senkte sich durch die Luft auf ihren erhobenen Armstumpf. »Ich werde Kora losschicken, damit sie die Izeekepirs zu dir lockt. Es ist eine Familie, zwei ältere Tiere und ihr Nachwuchs. Du hast nur noch eine Aufgabe: Bereite dich auf Krahacs Ankunft vor, denn der Totenvogel wird kommen, dich zu holen.«
»Ludmeela!« Tumaara wand sich in ihren Fesseln. Ludmeela reagierte nicht auf ihren Ruf. Sie warf den Gerfalken in die Luft und ging davon. Ihre knirschenden Schritte im Schnee erstarben. Tumaara vermutete, dass sich Ludmeela über einen schmalen Klettergrad auf einen Felsen oder ein Plateau in Sicherheit bringen würde. Vielleicht waren sie sogar nahe der Stelle, an der sie bereits gestern von einem der Izeekepirs angegriffen worden waren. Um Tumaara senkte sich eisige Kälte. Wie oft schon war sie in nahezu aussichtslosen Situationen gewesen? Aber diese übertraf alle. Ludmeela hatte ihr das Schwert genommen. Wenn es ihr nicht gelang, die Fesseln zu lösen und eine Waffe zu finden, bevor die Eisbestien kamen, war sie verloren.
Fieberhaft sah sie sich um. Die Felsen.
Tumaara robbte durch den Schnee. Sie bewegte sich mit den Schultern und der Hüfte vorwärts, bis sie einen scharfkantigen Felsen erreichte. Sie hob ihre Beine und rieb das Seil an der Kante. Die Fasern der Beinfesseln waren dünner und poröser als die an den Armen.
Ihre Bauchmuskeln rebellierten, weil sie die Beine so lange hochhalten musste, doch Tumaara zwang sich, nicht nachzulassen. Mit einem heftigen Reißen lösten sich zwei Fasern des Seils. Sie rieb erneut über die Felskante und bekam ihre Beine frei.
Einen Augenblick blieb sie schwer atmend liegen, dann sprang sie auf. Weglaufen war schwierig. Die Izeekepirs waren vielleicht schon ganz in der Nähe. Aber wenn sie die Hände ebenfalls freibekam, konnte sie wie Ludmeela auf einen Felsen klettern.
Hastig rieb sie auch ihre Handfesseln an dem Stein. Ludmeela hatte ihr die Arme hinter dem Rücken zusammengebunden und ihre Haut stieß immer wieder gegen den Felsen. Tränen des Schmerzes wollten ihr in die Augen steigen, aber sie drängte sie gewaltsam zurück. Es war keine Zeit für Selbstmitleid.
Sie hatte das Seil gerade ein Stück weit aufgescheuert, als sie das Brüllen hörte.
Sie kommen!
Tumaara fuhr herum und sah den ersten Izeekepir, der sich durch die schmale Schlucht auf sie zu bewegte. Über ihr schrie ein Gerfalke.
»Wudan hilf«, flüsterte sie. Mit aller Macht versuchte sie ihre Hände zu befreien, um doch noch auf die Felsen fliehen zu können. Aber tief in ihrem Inneren spürte sie, dass es zu spät war. Die Götter hatten ihre Tierknochen für das Orakel geworfen, und dieses Orakel zeigte ihren Tod. Wut und Trauer zerrissen sie schier. Als der Izeekepir auf sie zusprang, schrie sie ihren Zorn hinaus.
***
»Ich kann nicht mehr«, stöhnte Bahafaa humpelnd. Sie sah schuldbewusst aus. Tränen glitzerten in ihren Augenwinkeln. »Ich halte euch nur auf. Geht allein weiter.« Sie beugte sich zu ihrem geschwollenen Knöchel. Durch die anstrengende Verfolgung war die Verletzung vom Vortag wieder schlimmer geworden.
Matt blieb stehen und auch Aruula verharrte keuchend neben ihm. »Das wird das Beste sein. Wir verlieren zu viel Zeit.«
Grao machte ein Geräusch, das wie ein Seufzen klang. »Ich kann euch schneller ans Ziel bringen, wenn ihr es zulasst. Aber ich kann nur euch zwei mitnehmen. Die anderen müssen nachkommen.«
Matt und Aruula sahen einander an. Matt zögerte. »Was hast du vor?«
»Ich werde die Gestalt eines Izeekepirs annehmen und euch tragen. Mit einem solchen Körper komme ich viel schneller voran.«
Matt überwand seine Vorbehalte. Tumaara war in Lebensgefahr, und wenn Grao ihn hätte töten wollen, hatte er seine Gelegenheit dazu bereits gehabt. Natürlich konnte Grao seine Meinung nach wie vor ändern, aber das Risiko musste er eingehen.
»Tu es«, stieß er vom schnellen Laufen
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