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273 - Die Wandlung

273 - Die Wandlung

Titel: 273 - Die Wandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stern
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ihr gelungen sein, zu dem Tier eine Verbindung herzustellen. »Ich nenne dich Kora«, flüsterte sie. »Bist du einverstanden?«
    Der Gerfalke gab einen anklagenden Schrei von sich. Ludmeela schloss die Augen und spürte seinen Geist wie die Wärme eines Feuers. »Nein, du bist sehr groß, aber du bist kein Weibchen. So sollst du Korvus heißen.«
    Der weiße Falke legte den Kopf schief. Ludmeela spürte sein Einverständnis. Es hüllte sie ein und linderte ihren körperlichen Schmerz. Gegen ihren Zorn dagegen konnte es nichts ausrichten.
    »Sie hat mich verraten, Korvus«, sagte sie in die Stille und blickte in die gelb umrandeten Vogelaugen. »Tumaara hat mich verraten. Wenn sie geblieben wäre, hätten wir gemeinsam fliehen können. Und selbst wenn nicht - Tumaara ist eine mächtige Kriegerin. Sie hätte den Izeekepir verjagt.«
    Ludmeela war felsenfest überzeugt davon. Tumaara war ihr immer wie ein Engel erschienen, hell und strahlend. Wenn sie lächelte, ging eine zweite Sonne nur für sie auf.
    »Ich wollte so werden wie sie: eine mächtige Kriegerin.« Über ihr Gesicht liefen Tränen. »Jetzt bin ich ein Krüppel, weil sie nicht auf mich aufgepasst hat. Wie soll ich denn so ein Schwert halten?«
    Der Gerfalke machte keinen Laut. Er saß reglos, die langen Schwingen angelegt, und blickte sie unverwandt an. Ludmeela fühlte sich verstanden.
    »Ich werde sie töten«, schwor sie sich und ihrem neuen Freund. »Ich werde sie töten, sobald ich alt genug bin. Sie soll ihren Verrat bitter bezahlen.«
    Der Wunsch nach Rache stärkte sie. Er war ein Grund, ihr Leben nicht wegzuwerfen, und er half ihr, die kommenden Tage des Wundfiebers zu überleben. Immer wenn ihr Körper dem Tode nahe kam und ihre Schmerzen sie an den Abgrund des Wahnsinns trieben, sah sie Tumaaras Gesicht vor sich und wusste: Ihre Zeit der Rache würde kommen.
    ***
    Sie hatten Waarli eilig verlassen und den Bewohnern nur das Nötigste erklärt. Es war noch dunkel, als Grao'sil'aana sie in Hermons Gestalt zurück ins Gebirge führte. Matt war nicht wohl dabei, ausgerechnet ihn als Anführer zu haben. Wer wusste schon, ob er Bahafaa seine Gefühle nicht nur vorspielte und plante, ihn und Aruula in irgendeiner Gletscherspalte verschwinden zu lassen.
    Er sah zu Aruula, die Grao keine Sekunde aus den Augen ließ. Auch Matt ertappte sich dabei, dass seine Finger auf dem Holster lagen. Grao war nach wie vor unberechenbar. Trotzdem schien er zumindest zum Teil die Wahrheit gesagt zu haben: Als sie die Eisgrenze erreichten, sahen sie Spuren im Schnee. An mehreren Stellen waren neben den Fußspuren eines Menschen große Abdrücke zu sehen. Vermutlich hatte Ludmeela ihre Last zwischendurch im Schnee abgelegt. Mit der betäubten Tumaara kam sie nur langsam voran und mit etwas Glück hatten sie sie bald eingeholt.
    Es ging stetig bergauf, hin zu der schmalen Brücke aus aneinander gebundenen Brettern, die Matt schon auf dem Hinweg missfallen hatte.
    Plötzlich schrie Bahafaa auf und rannte an Grao vorbei. »Ludmeela!«
    Matt kniff die Augen zusammen. Auf der anderen Seite der Brücke stand im Halbdunkel eine Frau. Es war Ludmeela. Sie hatte Tumaara neben sich im Schnee abgelegt und sich zu der Gruppe umgewandt. Im Osten gloste das erste Licht des Tages und Matt sah in Ludmeelas Hand einen Dolch aufblitzen.
    Bahafaa blieb kurz vor der Brücke stehen. »Ludmeela, bitte hör mir zu!«, rief sie hinüber.
    »Ich weiß, was du mir sagen willst«, kam die Antwort. Ein schwaches Echo hallte von den Bergen wider. »Aber es ist vergebens! Tumaara hat ihre Strafe verdient!«
    »Ludmeela, du willst das doch nicht wirklich!« Matt wollte vortreten - als Grao ihn an der Schulter zurückhielt. Sofort war Aruulas Klinge am Hals des Daa'muren.
    »Wartet«, sagte Grao beschwichtigend. »Bahafaa kann Gefühle ausstrahlen. Sie könnte versuchen, Ludmeela versöhnlich zu stimmen.«
    Aruula ließ das Schwert zögernd sinken. Matt sah zweifelnd zu Ludmeela und Tumaara hinüber. »Kann sie das denn, über diese Entfernung hinweg?«
    »Es ist einen Versuch wert.«
    Matt sah in Graos Augen - und hatte plötzlich den irrationalen Wunsch, ihn zu umarmen. Er schüttelte sich. Das ist Bahafaa , erkannte er. Sie strahlt mit aller Macht Gedanken der Versöhnung aus. Matt trat einen Schritt von Grao fort, ehe es zu einer peinlichen Szene kam.
    In Aruulas Mimik konnte er keine Gefühle der Vergebung sehen. Vielleicht war sie als erfahrene Lauscherin immun gegen Bahafaas geistigen Einfluss.

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