273 - Die Wandlung
unergründlichen Reptilienaugen an. »Ich habe es nicht für dich getan, Mefju'drex.« Er blickte zu Bahafaa.
Dykestraa und Arjeela stand der Mund offen.
»Was…«, fragte Arjeela fassungslos. »Wieso…«
»Das müsst ihr uns erklären«, schnaufte Dykestraa. »Was, bei Wudan und allen Göttern, bist du, Hermon?«
»Ich erkläre es später.«
In Graos Stimme konnte Matt nichts anderes hören als die übliche Zweckorientiertheit.
Grao nahm eines der unversehrten Brückentaue und prüfte seine Reißfestigkeit sowie die Verankerung auf ihrer Seite. »Das wird halten.« Er ging zurück und nahm Anlauf.
Bahafaa schrie auf, als er sich in den Abgrund warf. Aruula musste sie festhalten, damit sie nicht hinterher stürzte.
»Er ist ein Daa'mure«, erklärte Matt Arjeela und Dykestraa. »Er kann seinen Körper umformen.«
Und tatsächlich: In dem Moment, da Grao sich abstieß, bildeten sich unter seinen Armen und zwischen den Beinen dünne Hautlappen, die seinen Sturz nicht nur bremsten, sondern ihm eine gewisse Flugfähigkeit verliehen. Zwar verlor Grao beträchtlich an Höhe, aber er glitt wie ein riesiger Flugdrache hinüber zur anderen Seite der Schlucht.
»Ein Daa'mure?« Dykestraas Stimme war angespannt. »Einer der Feinde?«
»Er ist kein Feind!«, sagte Bahafaa heftig. »Er ist mein Gefährte. Bitte, sagt es nicht den anderen.«
Arjeela und Dykestraa sahen einander unschlüssig an. Noch waren sie nicht bereit, eine Entscheidung zu treffen.
Grao hatte die andere Seite erreicht. Im ersten Licht der aufgehenden Sonne änderte er erneut seine Gestalt und ließ lange Dornen aus Händen und Füßen wachsen, mit denen er sich rasch an der vereisten Felswand emporarbeitete.
Es war taghell, als Grao die Abbruchkante erreichte und das Tau an einem der abgeschnittenen Enden fest verknotete. Es spannte sich nun straff über den Abgrund. Nacheinander sicherten sich die vier Frauen und Matthew Drax und hangelten einzeln an dem dicken Strick entlang. Bahafaa verlor zweimal den Halt und fiel in das Sicherungsseil. Es dauerte über eine Stunde, bis sie alle auf der anderen Seite waren.
Matt sah besorgt in die Richtung, in der Ludmeela mit Tumaara verschwunden war. »Wir kommen zu spät«, raunte er Aruula zu, sodass es die anderen nicht hörten.
Aruula schüttelte den Kopf und schloss die Augen. »Ich fühle, dass Tumaara noch lebt. Gib die Hoffnung nicht auf.«
Grao führte sie an. Gemeinsam liefen sie den Weg hinunter. Matt konnte es noch immer nicht fassen, dass der ehemalige Todfeind ihm das Leben gerettet hatte.
***
Tumaara öffnete die Augen und versuchte sich zu orientieren. Alles um sie her war weiß und kalt. Nur mühsam erkannte sie ihre Umgebung. Sollte sie nicht in einem Lager in der Hütte in Waarli liegen, die Kartuum ihnen im Bergdorf zugeteilt hatte?
»Du wachst auf. Endlich.«
Die barsche Stimme brachte Tumaara endgültig in die Gegenwart zurück. Eine Gegenwart, der sie gerne entflohen wäre. Ihre Arme und Beine waren gefesselt. Sie lag verschnürt im Schnee und blickte an Ludmeelas Fellstiefeln entlang über den Mantel der Kriegerin bis hin zu ihrem starren Gesicht.
»Was… was ist geschehen?« Ihre Stimme drohte zu versagen. Sie wusste, was geschehen war. Seit der Ankunft auf den Inseln waren Zweifel in ihr gewesen, dass die Götter es gut mit ihr meinten und dass Ludmeela ihr tatsächlich vergeben hatte. Der Sturm bei ihrer Ankunft war ein Zeichen gewesen - das Zeichen, so schnell wie möglich umzudrehen und ihr Heil in einer zweiten Flucht zu suchen. Doch Maddrax und Aruula zuliebe, die sie auf die Dreizehn Inseln gebracht hatten und dafür einen Umweg auf ihrer Reise in Kauf nahmen, hatte sie ihre Zweifel niedergerungen. Nun musste sie für diesen Fehler bezahlen.
Ludmeela starrte auf sie herab. »Ich habe all die Jahre nie vergessen, warum du mich allein gelassen hast. Wegen einem Mann von irgendeiner Barbarenhorde. War er gut? Hattet ihr Spaß?«
»Ludmeela, bitte, ich weiß, dass ich einen schrecklichen Fehler gemacht habe, aber…«
»Sei still!« Ludmeela hob anklagend ihren Armstumpf. »Du hast mir das angetan! Du hast mich der Bestie zum Fraß überlassen! Wenn mir nicht ein Falke zu Hilfe gekommen wäre, hätte mich der Izeekepir zerrissen!«
In Tumaara erwachte der Überlebenswille. Sie hatte in ihrem Leben oft genug gekämpft, war oft genug auf Gegner getroffen, die stärker waren als sie - und hatte doch gesiegt. In der geheimen Arena von Rooma hatte sie Dinge gesehen, die
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