274 - Die dunkle Seite des Mondes
Steine von einem Haufen auf den anderen. Die Animation sollte den Ladevorgang symbolisieren. Leider stand unter dem Steinhaufen erst: »Ladevorgang bei 74%«.
Die Schritte verstummten und erklangen erneut. Doch diesmal entfernten sie sich von der Tür. Alix schnaufte tief durch. Dennoch musste er sich beeilen, denn der rechtmäßige Inhaber des Büros, Cody Pierre Saintdemar, konnte jeden Augenblick zurückkommen. Am liebsten hätte Alix die Aktion abgebrochen, doch dabei hätte er Spuren hinterlassen. Das Programm, das er zum Datendiebstahl benutzte, beseitigte nach abgeschlossenem Ladevorgang zwar sämtliche Beweise seines Zugriffs, aber genau das war der springende Punkt: nach abgeschlossenem Ladevorgang!
Er stemmte sich aus dem Sessel, ging zur Tür, öffnete sie einen Spaltbreit und lugte hinaus.
Verdammt! Am anderen Ende des Ganges stand Saintdemar und unterhielt sich mit einer der Frauen aus dem Rekrutierungsbüro. War er etwa schon auf dem Rückweg und von der Marsianerin nur aufgehalten worden?
Hastig schloss Alix die Tür und huschte zurück zum Rechner. Dabei warf er beinahe noch einen kleinen Zimmerbrunnen um, der auf einer Säule neben dem Eingang vor sich hinplätscherte. Aus einer Kristallschüssel mit rotem Marsschlamm ragte ein gläserner Sporn in die Höhe. Verborgene Düsen pumpten drei verschiedenfarbige Flüssigkeiten an dem Sporn entlang nach oben. Schwarz, grün und kristallklar. Nur die klare Flüssigkeit erreichte die Spitze und fächerte sich dort in einen lichtbeschienenen Schirm auf. Die Kraft der Reinheit. So hieß dieses grauenhafte Kunstwerk. Schwarz und Grün - symbolisch für die Erd- und die Waldmenschen - erklommen nicht die gleiche Höhe wie der reine Marsianer. So oder so ähnlich sollte man dieses Teil wohl interpretieren.
Der Glassporn wankte bedenklich, als Alix gegen die Säule stieß. Im letzten Moment konnte er ihn ergreifen und sein Kippen vermeiden. Erdbarbaren und Waldmenschen flossen ihm über die Hand und hinterließen schwarze und grüne Schlieren. Das hatte ihm gerade noch gefehlt!
Er hastete zum Rechner zurück.
Ladevorgang bei 87%
»Na komm schon, beeil dich!«
Einmal mehr verfluchte er Chandra Tsuyoshi und dass er sich auf diese Aktion eingelassen hatte. Er hätte einfach eine bessere Gelegenheit abwarten sollen.
Dabei hatte alles so reibungslos begonnen.
Zuerst hatte er bei der Elysium Daily einen Job als Netzwerktechniker angenommen. Wenn er ins Innere von ProMars vorstoßen wollte, konnte er als Tätigkeit schließlich schlecht Privatermittler angeben. Ihm war wichtig, bei der Organisation als Computerspezialist zu gelten. Er hoffte darauf, so in diesem Gebiet auch zum Einsatz zu kommen.
Anschließend suchte er aus der Datei, die er bei ENT gestohlen hatte, potenzielle Kandidaten heraus, die ihm Zugang zu ProMars verschaffen könnten. Er beobachtete fünf von ihnen über mehrere Tage hinweg und legte sich schließlich auf einen fest, der jeden Abend in der gleichen Bar verbrachte. Wulforc Meight, ein für marsianische Verhältnisse kräftiger Mann mit einfachem Gemüt und einem dröhnenden Lachen.
Also besuchte auch Alix Abend für Abend diese Bar und kam schließlich mit seinem Auserwählten ins Gespräch. Er jammerte über Roald Jordan Tsuyoshis Selbstmord und darüber, dass dieser Visionär in der Öffentlichkeit plötzlich als geistesgestörter Attentäter galt. Der Medienchef habe so große Pläne mit Nugamm gehabt, habe ihm versprochen, ihn bei ENT ganz nach vorne zu bringen. Doch nun arbeite er überhaupt nicht mehr dort. Ohne Tsuyoshi sei es einfach nicht mehr dasselbe.
Schnell errang er so Wulforcs Aufmerksamkeit. Also berichtete er weiter von seiner Tätigkeit als Laufbursche und davon, dass Tsuyoshi von seinem Bericht über ProMars richtiggehend begeistert gewesen sei.
Wenn du lügen musst, bleib so nahe wie möglich an der Wahrheit. So lautete eines von Alix Nugamms unzähligen Mottos. Also erzählte er die Geschichte beinahe so, wie sie sich abgespielt hatte - und verschwieg nur die unbedeutende Tatsache, dass er Tsuyoshi erst zu Fall gebracht hatte.
Eines Tages nahm Wulforc ihn auf eine Versammlung der Organisation mit. Alix verbrachte einen Abend voller Pathos und schwülstiger Parolen, der die Grenzen des Erträglichen ein ums andere Mal überschritt. Dennoch überwand er sich, mit den Anwesenden an den richtigen Stellen zu jubeln, mit ihnen zu buhen, wenn die Regierung ins Gespräch kam, oder mit ihnen zu schimpfen, wenn die Rede
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