275 - Licht und Schatten
wusste der Dominikanermönch dahinter. Die Vorstellung, sie alle als steinerne Männer, Frauen und Kinder zurückzulassen, raubte ihm schier den Verstand.
Bewahre mich davor, hinter dieser Mauer töten zu müssen, gesegnete Mutter Gottes!
Während Bartolomé zitterte und zagte, drang Maxim, zwanzig Schritte weiter, bereits in die Festungsmauer ein. Er drückte und wand sich und kam dennoch nur zäh voran. Der Fischer, den er auf dem Meer bereits versteinert hatte, und der junge Krieger am Strand, der Spuren des Glanzes an seinem Arm getragen hatte - Maxims Körper war bereits stofflicher geworden als der von Bartolomé. Er presste, schob und ruderte mit den Armen, als gälte es eine Schneeschicht zu durchbrechen.
Hinein!
Mutter drängte und drohte.
Angst erfüllte Bartolomé de Quintanilla. Die Gier des Steindämons und die Glut seines Zorn drückten ihn geradezu gegen seinen Willen durch die Mauer in den großen Festungshof hinein. Im Gegensatz zu Maxim passierte er die Steinbarriere mühelos.
Keine Menschenseele hielt sich hier auf. Bartolomé sah nur Bäume, Gemüsebeete und Stallungen, aber niemanden, den er…
Der Padre erstarrte. Was lag dort zu seinen Füßen auf dem Rücken? Eine… Echse? Der Leibhaftige selbst? Jetzt sprang es auf, das Ungeheuer. Schuppig und kalten Auges stand es vor Bartolomé, überragte ihn um Haupteslänge.
Der Padre hätte es berühren können. Doch wer würde es wagen, einen Dämon Luzifers anzufassen?
Bartolomé de Quintanilla schauderte angesichts des Höllenknechtes und der Aussicht, von dessen teuflisch-sündiger Lebenskraft überflutet zu werden. Worte des Betens stürzten wie von selbst von seinen Lippen, kaum wusste er noch, was er sagte.
... höre meinen Hilferuf in dieser Not, Heilige Jungfrau Maria! Rette mich aus dieser Gefahr! Vertreibe das Böse vor meinem Angesicht mit dem Schall deiner reinen und gebietenden Stimme ...
Zitternd wich er zurück. Der Dämon in Echsengestalt aber warf sich im gleichen Augenblick herum, setzte in weiten Sprüngen durch die Büsche, vorbei an dem noch mit einem Bein und einem Arm in der Mauer steckenden Maxim, und floh quer durch eine Koppel zum Seitenflügel der Festung.
Bartolomé de Quintanilla stand still und versuchte den Sturm in seinem Kopf zu bändigen.
Ich danke dir, o Heilige Jungfrau.
Der silberschuppige Dämon hatte im selben Moment die Flucht ergriffen, da er die Gottesmutter angerufen hatte; kein Zweifel, dass sie es gewesen war, die ihn vertrieben hatte.
Er sank auf die Knie. Du hast meine Seele vor dem Diener der Höllenmächte gerettet! Ich danke dir…!
Plötzlich ertönte ein Chor fremder Stimmen in seinem Schädel. Rief ihn der Steindämon, der sich schändlicherweise Mutter nannte? Nein, dessen Stimme klang anders.
Der Mönch lauschte. Es war ein lieblicher Stimmenchor, der aus höheren Sphären zu kommen schien.
Und plötzlich begriff Bartolomé.
Rufst du mich wahrhaftig, Gottesmutter? Bist du da, Heilige Jungfrau Maria?
Der Padre war fassungslos vor Glück. Von ehrfürchtiger Andacht ergriffen, hob er die Arme gen Himmel.
Neigst du dich wahrhaftig zu mir Nichtswürdigem herab, um mich deine Stimme hören zu lassen, Heilige Jungfrau…?
***
Nur das Licht einer Kerze erfüllte den fensterlosen Raum. Flackernd warf es die Schatten der Frauen auf Regale voller Köcher, Schwerter, Äxte und Stiefel und auf Wände voller Jagdbögen, Schilde und Speere.
Zehn Kriegerinnen hockten auf den Fersen oder mit gekreuzten Beinen auf Fellen, die sie am Boden ausgebreitet hatten. Eng aneinander gerückt, bildeten sie einen kleinen Kreis. In dessen Mitte stieg Rauch aus einer Schale, in der jemand süßlich duftendes Räucherwerk angezündet hatte. Eine hielt die Hand der anderen fest und alle zehn hatten sie die Augen geschlossen.
So vereinigten die stärksten Lauscherinnen der Königsinsel ihre geistigen Kräfte zu einer einzigen; zu einer Kraft, die beharrlich versuchte, in die Gedanken jener fremden Macht vorzustoßen, die in diesen Augenblicken in die Königsfestung eindrang.
Eine spürte, was die andere spürte, und Aruula spürte einen harten Widerstand. Unüberwindbar, kalt.
Manchmal gelang es zwar, die Gedanken eines der Schattenartigen flüchtig zu streifen, doch eine wirkliche Berührung wollte und wollte nicht gelingen. Es war, als würden sich die Angreifer hinter einem bläulich schimmernden Schirm verbergen, durch den unsichtbare Strahlen und Kraftmuster zuckten und jeden Versuch der mentalen
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